Die Russen kommen

Wirtschaftliche Interessen verbergen sich hinter dem ersten Auftritt eines sowjetischen American-Football-Teams / Den Moskauer Bären wurde das Fell über die Ohren gezogen  ■  Aus Berlin Theo Breiding

Das Wort „historisch“ ist am Wochenende des öfteren gefallen, als es darum ging, dem allerersten Spiel des bislang einzigen sowjetischen American-Football-Teams eine gerechte Dimension zuzuteilen. Einer der Gründe: Die Premiere fand in Berlin statt, Gegner waren die in diesem Jahr noch ungeschlagenen Berliner Adler. Immerhin war bei der Fußball-Europameisterschaft 1988 der Wunsch des DFB, auch in Berlin Spiele auszutragen, noch an einem sowjetischen Veto gescheitert.

Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung fielen natürlich die Worte Glasnost und Perestroika auch nicht gerade selten; daß man sich allerdings in der UdSSR plötzlich und mit aller Kraft dem American Football zuwendet, hat wohl etwas mit wirtschaftlichen Überlegungen zu tun. Die US-amerikanischen Profiligen sind in diesem Sommer mit Plänen an die Öffentlichkeit getreten, hier bei uns Anfang der 90er Jahre eine Europaliga zu installieren. Acht oder zwölf Teams werden mitspielen dürfen, und die Sowjets scheinen die Einschätzung der Amerikaner zu teilen, daß sich damit wohl auch ein schöner Batzen Geld verdienen lasen wird - sie wollen dabei sein.

Anfang Juli wurde in Moskau der erweiterte Kreis der sowjetischen Rugby-Nationalmannschaft versammelt, der Amerikaner Tom Kelly, dessen Tätigkeitsfeld zuvor etwas kleiner war - er betreute ein Team in Hongkong - bekam ein Appartment, einen Wagen mit Fahrer und genug Rubel, um die Spieler mit ihrer neuen Tätigkeit vertraut zu machen: Fortan waren sie die „Moskau Bears“.

Der Generalsekretär des sowjetischen Rugby-Verbandes, Edvard Tatourian, auch er war in Berlin, ist derzeit mit der Gründung eines American-Football-Verbandes befaßt. Zwölf Teams, u.a. in Leningrad, Kiew, Odessa, Nowosibirsk, Taschkent, sind in diesem Jahr noch geplant, in den nächsten fünf Jahren sollen es insgesamt 100 werden. Daß die so Hals über Kopf formierten Moskauer Bären zu ihrer Premiere im kapitalistischen Ausland kamen, hängt unmittelbar mit diesen ehrgeizigen Plänen zusammen. Zu einem Footballteam gehören 50 Spieler, einen einzigen komplett auszurüsten kostet ungefähr 1.000 Mark. Die Helme, Shoulder-Pads und Hüftpanzer werden allesamt in den USA hergestellt, die Devisen, sie einfach so im Laden zu kaufen, wollte man nicht ausgeben.

So haben die Bears am Sonntag ganz professionell für ein Gage gespielt: 30 komplette Ausrüstungen. Für dieses Jahr sind noch Spiele in Salzburg, Stockholm, Helsinki und möglicherweise Orlando (Florida) geplant, auch dort sollen die Bären mit „Uniforms“ entlohnt werden. Die Panzerung der ersten sowjetischen Footall-Pioniere wäre dann komplett, die Liga könnte den Spielbetrieb aufnehmen.

Die sowjetische Delegation hat wohl den Marktwert und die Werbewirksamkeit ihres Teams richtig eingeschätzt: Von den sonst in Berln so hartnäckig beklagten Sponsoren-Misere war wenig zu spüren. Quaterback Edvard Zvaizneh jedenfalls fuhr einen „Z 1“ von BMW, zumindest auf dem Foto in der Zeitung. Neben Tatourian und Kelly haben sich bei der Anbahnung des Ereignisses, den allerersten Kontakt hatte es am 4. August gegeben, Sergej Karagodian und Juri Schatow als ausdauernde und hartnäckige Verhandler profiliert. Beide sehen nur so aus wie die KGB-Agenten im Kino, in Wirklichkeit sind sie Manager des Edelsportausstatters „Sport Moda“, der u.a. den Eishockeystars die Hemden mit dem CCCP auf der Brust näht.

„Sport moda“ ist für die Footballer der Moskau Bears, was bislang die Armee für Spitzenmannschaften war: der Sponsor. Man investierte in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe ein Bein in den westlichen Sportbekleidungsmarkt zu bekommen. Schatow und Karagodian haben einen großen Teil ihrer Zähigkeit auf Verhandlungen verwandt, in denen es um eine irgendwie gemeinsame Produktion und Vermarktung von bedruckten T -Shirts, Jerseys usw. geht. Die Hoffnungen scheinen sich zu erfüllen. Anfang Oktober sollen die Gespräche bei einem Gegenbesuch der Berliner Delegation in Moskau in einen Joint -venture-Vertrag münden.

Klare Sache: Verkauft man erst einmal soviele Trainingsanzüge und Frotteesocken wie Adidas, Nike oder Reebok, kann man die Helme und Footbälle in aller Ruhe bei den Kapitalisten kaufen. Außerdem: Ein sowjetisches Unternehmen wäre auf einem westlichen Wachstumsmarkt konkurrenzfähig.

Ob nun zuerst eine „Sport moda„- Kollektion zwischen westlicher Konkurrenz in den Kaufhäusern hängen oder ein sowjetisches Footballteam in die europäische Spitzenklasse vorstoßen wird, ist schwer zu sagen. Am Sonntag jedenfalls bewahrheitete sich Tom Kellys Prognose, daß seine Spieler zwar physisch gut ausgebildet seien, aber immer zur falschen Zeit an den falschen Stellen sein würden, in voller Breite.

Die Adler taten erst einmal so, als wäre es ein ganz normales Spiel. Sie führten nach dem ersten Viertel 44:0, nahmen dann aber den Fuß vom Gas. Die Angriffsreihen durften verteidigen, die Verteidiger angreifen, und Quaterback Clifford Madison hatte bereits wieder seine „Uniform“ abgelegt, als es mit dem allerersten und daher historischen Touchdown der Bären immer noch nicht klappen wollte.

Die rund 4.000 Zuschauer wollten ihn, die Bären sowieso, und die Adler auch. Kurz vor Schluß der Partie verkürzten die Männer aus Moskau zum Endstand von 77:6, und alle waren zufrieden.