: „Er läuft und läuft - bis alles in Scherben fällt“
Ferdinand Porsche senior: Aufstieg eines Konkstrukteurs vor 50 Jahren / Pionierleistung bei der Beschäftigung sowjetischer Kriegsgefangener ■ Von Ursula Krause-Schmitt
Die 'Wolfsburger Allgemeine‘ fand zum „50. Käfer-Jubiläum“ warme Worte über Ferdinand Porsche:
„Ferdinand Porsche - der Vater des Käfers“, dem ein „großer Entwurf gelungen war“, der „Ingenieur und private Unternehmer“, dessen soziales Lebenswerk die Entwicklung eines Autos für das einfache Volk wurde, während zuvor dagegen „die Automobilindustrie große und teure Luxusautos für den privilegierten Stand baute“. Welch ein Glücksfall also - so der Tenor der Zeitungsbeilage -, daß dieser so sozial gesinnte Erfinder mit seiner „Denkschrift“ für den Bau eines Volkswagens auf eine ebenso sozial gesinnte Regierung, nämlich „die nationalsozialistische Regierung“ traf, die den Bau dieses Kraft-Durch-Freude-Autos“ zum Kernstück ihrer Sozialpolitik machte.
An der Porsche-Legende stimmt rein gar nichts - außer der Tatsache, daß Ferdinand Porsche zu Beginn der dreißiger Jahre an der Entwicklung eines neuartigen Kraftwagens arbeitete. Ferdinand Porsche gehört zu den Verantwortlichen. Er gehört zu den gesellschaftlichen Kräften, die den Faschismus getragen haben. In seiner Jugend vom damals exklusiven Autosport begeistert, selbst Rennfahrer, wurde der gebürtige Österreicher 1906, im Alter von 31 Jahren, Konstrukteur. Im Ersten Weltkrieg sammelte er Erfahrungen in der Entwicklung von Militärfahrzeugen und schaffte 1916 den Sprung in die Konzernzentrale der Daimler AG nach Stuttgart: Er wurde Chefkonstrukteur im führenden deutschen Automobilunternehmen.
Was veranlaßt ihn dazu, 1930 ein eigenes Kontruktionsbüro zu gründen? Keineswegs standen hinter seinem Entschluß Überlegungen eines „Aussteigers“, der sich, frei von den Zwängen der Verwertbarkeit, jedoch mit vollem finanziellen Risiko seinen Lebenstraum erfüllen wollte. Auch schied er nicht im Streit von der Daimler AG, im Gegenteil, sie blieben in engsten Geschäftsbeziehungen. Porsches Konstruktionsbüro folgte schlicht den technologischen Bedingungen der jungen Autoindustrie: Es erlaubte, die hohen Entwicklungskosten auf mehrere Unternehmen zu verteilen und dabei gleichzeitig die Forschung zu zentralisieren und effektiver zu gestalten. Die technischen Neuheiten aus dem Hause Porsche wurden in jenen Jahren bei der Autounion, bei Zündapp, bei NSU und auch bei Daimler getestet und von diesen Firmen mitfinanziert.
Der Technologie des Autos galt seit dem Ersten Weltkrieg das besondere Interesse der Reichswehrführung, die eine umfassende Motorisierung des Heeres beabsichtigte. Daß die Autoindustrie diesem Großabnehmer keine Steine in den Weg legen wollte, kann nicht verwundern. Porsches Volkswagen -Denkschrift von 1934: „Seit Jahren trägt sich das deutsche Volk mit der Hoffnung, daß ihm endlich ein ausgesprochener Volkswagen beschert werden möchte.“ Und nach umfangreichen Angaben über die technische Eigenschaft, die Leistungsfähigkeit des Motors, die Preisgestaltung und die Verkehrssicherheit folgt der bemerkenswerte Satz: „Ein Volkswagen darf kein Fahrzeug für einen begrenzten Verwendungszweck sein. Er muß vielmehr durch einen einfachen Wechsel der Karosserie allen praktisch vorkommenden Zwecken genügen, also nicht nur als Personenwagen, sondern auch als Lieferwagen und für bestimmte militärische Zwecke geeignet sein.“
Porsches Entwurf konnte sich durchsetzen: Fahrwerk, Bodenplatte und Motor waren im Kübelwagen, im Schwimmwagen, im Kommandeurswagen und im Panzerwagen identisch - es genügte der einfache Wechsel der Karosserie. Obwohl 1938 bereits an den Bau von Zivil-Kfz nicht mehr gedacht war, zog die Deutsche Arbeitsfront, der Nazi-Ersatz für die verbotenen Gewerkschaften, ihren Mitgliedern durch das sogenannte „Volkswagensparen“ Geld aus der Tasche, um den Rüstungsbetrieb in Wolfsburg zu finanzieren. Der „Volkswagen“ blieb, was er war, ein reines Propaganda -Manöver: Bis auf einige Vorzeige-Käfer wurden in Wolfsburg nur Militär-Kfz gebaut. Mehr noch: Das Volkswagenwerk stieg
-mit Hilfe der Spargroschen der geprellten Arbeiter - in die Produktion der V 1-Rakete ein.
Am 21. Juni 1941 erklomm Porsche den Höhepunkt seiner Karriere. Er war mit dem Nationalpreis ausgezeichnet worden, war Führer eines „nationalsozialistischen Musterbetriebs“, und nun übertrug ihm das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition den Vorsitz der soeben gegründeten Panzerkommission, die zu einem der wichtigsten Leitungsgremien der Nazi-Kriegswirtschaft wurde. Er war verantwortlich für die Koordination der Panzerentwicklung und -produktion, die Effizienz der Produktion und die Steigerung der Produktionsraten. Er fungierte als Technokrat, als einer jener Industriemanager der Nazis, bei denen ideologisch motivierte Vorurteile weniger Gewicht hatten und die unter rücksichtslosem Einsatz menschlicher Arbeitskraft und aller technischen Mittel die Verwirklichung der Kriegswirtschaftsziele zu erreichen suchten.
Eines der zentralen Probleme der Kriegswirtschaft war die Beschaffung von Arbeitskräften. Gegen den Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener hatten andere Konzerne Bedenken angemeldet: Würden die „Untermenschen“ überhaupt effektiv arbeiten? Porsche ergriff die Initiative. Seit Herbst 1941 fuhren seine Bevollmächtigten direkt in die Durchgangslager für sowjetische Kriegsgefangene, um sich an Ort und Stelle die noch kräftigsten Gefangenen herauszusuchen. In einem Bericht vom Januar 1942 äußerte sich das Volkswagenwerk zufrieden mit deren Arbeitsleistung, es empfiehlt jedoch „sofortige strenge Bestrafung bei Vergehen irgendwelcher Art“ sowie Entlausung. Diese habe man in Wolfsburg versäumt, daher sei eine Epidemie ausgebrochen, an der die meisten Gefangenen bereits gestorben seien. Das Beispiel macht Schule: In allen großen Betrieben wurden nun Kriegsgefangene unter den erbärmlichsten Bedingungen zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Auf Wunsch von Porsche wurde am 8. April 1942 in Wolfsburg ein eigenes KZ eingerichtet. Die Häftlinge wurden - auf Vorschlag Porsches und Weisung Hitlers - zum Bau einer neuen Leichtmetallgießerei eingesetzt. Das „Arbeitsdorf Fallersleben“ diente als eines der Pilotprojekte, mit denen geprüft werden sollte, ob sich nicht auch KZ-Häftlinge effektiv in der Rüstungsindustrie einsetzen ließen und welche Formen hierfür am effektivsten seien.
Auf das von ihm selbst miterprobte System der Anmietung von Häftlingen griff Porsche mehrmals zurück, zum Beispiel im Frühjahr 1944 im noch besetzten Lothringen. In Wolfsburg selbst errichtete das KZ Neuengamme im April 1944 ein Außenkommando für männliche, im August 1944 eines für weibliche Häftlinge. Diese Frauen waren aller Wahrscheinlichkeit Jüdinnen, die an der Rampe von Auschwitz zur Arbeit „selektiert“ und nach Bergen-Belsen gebracht worden waren, wo dann „Eignungsprüfer“ der verschiedenen Firmen sich ihre Arbeitssklavinnen aussuchten.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Zwangsarbeiter waren elend. Körperliche Züchtigungen, mangelnde Verpflegung, mangelnde Hygiene, mangelnde ärztliche Betreung: Erhalten gebliebenen, aber unvollständigen Totenlisten zufolge kamen allein in Wolfsburg mehr als fünfhundert Menschen ums Leben: Kriegsgefangene, Verschleppte, KZ-Opfer, Männer, Frauen und Kinder.
Porsche wurde von Rüstungsminister Speer noch für seinen Einsatz gelobt, als er aus der Panzerkommission schon wieder ausgeschieden war: In einer Durchhalterede im Sportpalast vom 5. Juni 1943 nennt er ihn als einen derjenigen, die für den Fortgang des Krieges an führender Stelle verantwortlich sind. Porsche diente dem Nazi-System tatsächlich bis zum Schluß, bis ringsum alles in Trümmern lag.
Noch im Februar 1945 ließ Porsche KZ-Opfer aus Buchenwald herbeischaffen. Sie sollten in Eschershausen bei Holzminden die Stollen ausbauen, in die er seine Rüstungsproduktion verlegen wollte, bombensicher, bis zum Endsieg. Anders als die meisten seiner Zwangsarbeiter starb Ferdinand Porsche in hohem Alter, wohlangesehen und gepriesen als der „Vater des Käfers“, als Identifikationsfigur des Wieder-Aufbaus und des Wirtschaftswunders.
Der hier gekürzte abgedruckte Artikel ist dem „BilderLeseBuch“ der Elefantenpress Berlin mit dem Titel „Achtung-Fertig-Los - Vorkrieg 1935 -1939“ entnommen. Elefantenpress, Oranienstr. 25, 1000 Berlin 36
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