: Der Reineking-Drügemöller
■ Waller Dichter las aus seinem Geschichtenschatz
Ein Schlauch von einem Raum. Schwere Vorhänge, dunkelbraun, schwere Tische, hölzern, mit Stühlen dran, auf denen man sitzt. Biergläser, fein geschwungen, in Reih und Glied, und, um die Ordnung zu mehren, alle leer. Uniformiert. An der Stirnwand ein weiterer Vorhang, auch er finster braun starrend, daran fixiert eine Fahne, roter Grund, weiße Insel, schwarzes Zeichen - die Konstellation ist bekannt, doch die Fahne viel älter und das Zeichen ein „R“. „R“ wie ulRich, „R“ wie Reineking, „R“ wie dRügemöller.
Ulrich Reineking-Drügemöller, der gewichtige Kollege, liest, zuhause im Hinterzimmer der Ernst-Waldau-Theatergaststätte in Walle, zuhause vor einer Schar von Waller Freiheitskämpfern und einigen versprengten Freunden des „Niederdeutschen“, aus seinem reichen Geschichtenschatz.
„Heimatliteratur“ nennt er seine skurrilen und saftstrotzenden Episoden, und weil er 15 Jahre in Berlin verbrachte, gegenüber nur fünfen in Walle, wo er auch schon ziemlich vertraut ist, tönen sie sich oft im Berliner Patois, poltern in den Biergärten der Mauerstadt und klingen waschecht. Nur komisch irgendwie. Heimatdichtung in einem Sinn, wie sie das
Hannoveraner Vorbild Kurt Schwitters vorexerzierte, gesprochene Sprache beim Wort nehmend, oder beim Tonfall, ganz heimlich nachdenklich und ansonsten eher brachial, schön eklig (da verdrückt man sich mal eben einen kleinen Quietscher des verlegenen Vergnügens) und mit den Zutaten des echten Lebens garniert.
Und lesen kann er auch, der Herr Ulrich Reineking -Drügemöller. Mit kräftiger, wandlungfähiger Stimme schlüpft er in die Personen, die er sich ausgedacht hat, oder dem Leben abgekuckt und krächzt dann so wunderbar schwindsüchtig, wie er auch das kurzatmige Asthma der Menschen seines Leibesumfangs trifft. Oder das schniekpeinliche Hochdeutsch für die Überleitungen, oder das Jiepern eines durstigen Mecklenburgers, oder was noch. „Trink, trink, Brüderlein, lasse die Sorgen zu Haus. Du bist gut, vergiß das nicht, du Arschloch, du bist gut, sehr gut.“
Gegen Ende der Lesung geht er dazu über, Texte aus dem Sammelband „Geschichten aus W.“ vorzulesen, den die rührige„Galerie des Westens“ herausgegeben hat, und der hiermit noch einmal dringlichst zum Kauf empfohlen wird.
step
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen