Betonköpfe oder Phantasie-betr.: "Bruder Innerlich", taz vom 7.9.89

betr.: „Bruder Innerlich“, von Reinhard Mohr, taz vom 7.9.89

R.Mohr macht in seinem Artikel den Versuch, auf das „Plädoyer für die deutsche Einheit“ von F.J.Raddatz zu antworten und zeigt doch nur, daß er den deutschen Geist der Zensur und der Scheuklappen trefflich beherrscht. Weil es ihm offenbar unmöglich ist, inhaltlich zu argumentieren, betreibt er das Ressentiment. Des Einklangs mit dem common sense gewiß, der über „deutsche Einheit“ nicht nachzudenken braucht (und über die Kosten der NATO-Mitgliedschaft auch nicht), sinniert er, die 'Zeit‘ werde ihre Gründe gehabt haben, „ein derartiges Machwerk“ zu drucken. Penibel erwähnt Mohr, Prof.Raddatz sei strafversetzt worden, weil er den Todestag Goethes vorverlegt habe. Daß Raddatz seinerzeit sanktioniert wurde, weil er zu linksliberal war, ist Mohr wohl entgangen; daß M.Gräfin Dönhoff in einem kurzen Gedenkartikel in der 'Zeit‘ 1983 (auf S.) Marxens Todestag zum Geburtstag umfunktioniert hat, sei nur am Rande vermerkt. Mohr hat offenbar in seinem Schimpfwörterbuch nachgeschlagen und zeiht Raddatz der Spießbürgerphantasien und vergleicht ihn mit einem Kleinbürger.

Raddatz hatte in einem fünfteiligen Artikel die Denkverbote und die Phantasieverweigerung in der Diskussion um die deutsche Frage gegeißelt, konkrete politische Argumente vorgebracht, die fünfziger Jahre (Stalin-Note) beleuchtet und die amerikanische Präsenz vor Augen geführt. Aus dem fünften Abschnitt des Artikels pickt sich Mohr einige allerdings emotionale Äußerungen heraus, um auf Raddatz dreinzuschlagen. In der 'Zeit‘, die Mohr „halbamtlich staatstragend“ nennt, ist über die deutsche Frage offenbar ein freimütiger Diskurs möglich. Egon Bahr stellte fest, daß wir Deutsche uns „wie Fellachen“ verhalten, angesichts des vorenthaltenen Selbstbestimmungsrechts. Und M.Ahrends fragte französische Studenten, „was sie denn tun würden, wenn... Paris gespalten wäre... Die erste Antwort kommt spontan: Das ginge überhaupt nicht, das ließe man nicht mit sich machen“. ('Die Zeit‘, 11.8.89). Betonköpfe oder Phantasie.

R.Lederer, Bochum 1

Es ist ein finsterer Tonfall, den Ihr Kritiker hier anschlägt: Und selbstverständlich verbreitet er dumme Lügen unter seinen LeserInnen. So stimmt es zum Beispiel keineswegs, daß Fritz J.Raddatz, wie Herr Mohr irgendeinem Gerücht entnommen zu haben scheint, „eigenmächtig den Todestag Goethes vorverlegt hat“.

Und daß er sich gar „mit eindrucksvollen Spesenabrechnungen rächt“, ist eine dieser vielen kleinkarrierten Bemerkungen, die, dem deutschen Steuerbeamten- und Spießermilieu entstammend, in der taz allzuoft Platz finden. Falsch ist natürlich auch, wie Reinhard Mohr glauben machen will, daß der Autor Raddatz in Paris wohnt („Strafversetzung nach Paris“): Dortselbst hat er mal vor einigen Jahren einen Lehrauftrag wahrgenommen.

Und immer neue Tiefpunkte des Schwachsinns: Die taz wirft Raddatz vor, daß er nicht „vom Aufbau eines europäischen Marktes träumt, der von Moskau bis Madrid reicht, ohne auf dem Elend der Dritten Welt zu gründen“. Ach, diese nachgeschobene kleine linke Dritte-Welt-Kondition. Aber was vermag sie schon gegen Mohrs vorangeschobene fettsüchtige kapitalistische Vision. Daß sie nun auch noch in der taz eingeklagt wird - es wird einem übel.

Aber dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt Herr Mohr, aus welchen trüben Kraftquellen er seine satirisch -kritischen Energien schöpft: Es ist die Geschichte der deutschen habituellen Feindseligkeit vor dem Unangepaßten, dem ganz Anderen. Es ist die Wut der prinzipiell Zu-Kurz -Gekommenen angesichts des sogenannten Asphalt-Literaten, der „Intelligenzija“ - ja, so schimpft Herr Mohr, wie einst Herr Johst -; es ist die Wut auf diesen fremdartigen, undeutschen Klub, dem Autoren wie Reinhard Mohr in einer Sprache, die jedem Kenner unserer Geschichte bekannt sein muß, nachzustellen belieben: „Wir sehen lieber auf die Finger, Herr Raddatz.“

Ja, das ist in der taz zu lesen. Da schreibt einer „wir“. Da droht einer im Namen seiner unbekannten Freunde. Da tritt einer hinter dem allzu durchsichtigen Paravent der theoretischen Sprachkritik auf und entpuppt sich doch als das, was er von Anfang an war - ein schrecklicher Deutscher.

„Wir sehen lieber auf die Finger, Herr Raddatz.“ Das hallt nach, das hat deutsches Echo, das ist zum Kotzen.

Dr.Michael Naumann, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek