Kein Wunder von rot-grüner Regierung erwarten

Europaweiter Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung nicht in Sicht  ■ I N T E R V I E W

Mit der Flucht der Stromwirtschaft aus Wackersdorf gerät die „Europäisierung der Atomwirtschaft“ endgültig ganz oben auf die Tagesordnung. Errichten Atomindustrie und Bundesregierung vorsorglich Dämme gegen Ausstiegswünsche künfiger rot-grüner Koalitionen? Wird die Wiederaufarbeitung zugunsten der direkten Endlagerung geopfert, um die konventionellen AKWs zu retten. Ein Gespräch mit dem Atomexperten Klaus Traube (SPD).

taz: Welche Bindung stellen die atomwirtschaftlichen Verträge zur Wiederaufarbeitung mit Frankreich und Großbritannien für künftige Regierungen dar?

Klaus Traube: Also, die Verträge, die gibt's ja noch gar nicht; was es gibt, ist ein „Memorandum of Understanding“, also eine Absichtserklärung, in der Grundzüge eines Vertrages festgelegt sind. Das Wichtige an dem Ganzen ist, daß Veba dort bereits eine Ausstiegsklausel eingebracht hat für den Fall, daß in Deutschland aus politischen Gründen entweder die Wiederaufarbeitung verboten wird oder Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Meiner Ansicht nach ist dieses Manöver von Veba durchaus unter dem Gesichtspunkt zu sehen, Brücken zu bauen für eine mögliche künftige SPD -geführte Regierung nach den nächsten Bundestagswahlen, um dann Atomenergie an solchen Punkten abbauen zu können, wo es ihnen nicht sonderlich wehtut.

Wie steht es mit der völkerrechtlichen Absicherung dieser Verträge?

Die völkerrechtlichen Verträge, die flankierend abgeschlossen werden sollen zwischen Frankreich und der BRD und dann natürlich auch zwischen England und der BRD, gibt es auch noch nicht. Ob diese Verträge etwa beinhalten werden, was es einer künftigen Regierung schwer machen wird, aus den Wiederaufarbeitungsverträgen wieder auszusteigen, kann ich heute nicht sagen. Man kann höchstens spekulieren, daß es einerseits schwierig ist, eine derartige Einschränkung der nationalen Souveränität einzubauen, andererseits ist aber auch der jetzigen Regierung zuzutrauen, daß sie den möglichen Folgeregierungen ein Ei ins Nest legt.

Gibt es innerhalb der SPD bereits eine Diskussion zu dieser Problematik?

Ich weiß nicht, ob jemand dieses spezielle juristische Problem prüft. Sicher würde eine SPD-geführte Regierung, in welcher Koalition auch immer, die Wiederaufarbeitung einstellen. Immerhin ist der Beschluß der SPD, daß es keine Wiederaufarbeitung geben darf, auf dem Parteitag 1984, also noch vor Tschernobyl, gefallen. Wie der sonstige Ausstieg aus der Atomenergie von einer SPD-geführten Regierung gestaltet würde, das ist eine ganz andere Frage.

Glauben Sie, daß demnächst weltweit die direkte Endlagerung propagiert wird und welche Auswirkungen würde dies für diese Verträge haben?

Die Sache ist umgekehrt. Eine weltweite Proklamation gibt es ja nicht, sondern es gibt sozusagen Pioniere. Pioniere der direkten Endlagerung waren die USA und Schweden, nachgezogen hat Kanada. Der Ausstieg der Bundesrepublik aus der Wiederaufarbeitung wäre gewiß ein wichtiges Signal in diesem internationalen Konzert, weil ja viele andere Länder in dieser Frage nicht festgelegt sind, und nach Orientierung suchen.

Wie schätzen Sie die Lage in Großbritannien und Frankreich ein, die ja selber an der Wiederaufarbeitung nicht mehr das große Interesse haben, sondern vielmehr am Erhalt der Arbeitsplätze und den für die Wiederaufarbeitung fließenden Geldern interessiert sind?

Frankreich und England sind Atomwaffenstaaten; die brauchen die Wiederaufarbeitung für militärische Zwecke, und werden daher von der Wiederaufarbeitung kaum abrücken. Außerdem haben sie in diese Anlagen ihr Kapital investiert und diese Anlagen sind nicht ausgelastet. Daß sie sich deshalb möglichst aus anderen Ländern, insbesondere aus der BRD Wiederaufarbeitungsaufträge sichern, das liegt auf der Hand.

Würde eine eventuelle Abkehr von der Wiederaufarbeitung hin zur direkten Endlagerung einen generellen Ausstieg aus der Atomenergie forcieren?

Nein, für die elektrizitätswirtschaftliche Nutzung der Kernenergie hätte eine Aufgabe der Wiederaufarbeitung keine direkten Folgen. Die moderneren Manager innerhalb der Elektrizitätswirtschaft, die nicht so verbissen in die Atomenergie sind, würden mit der Wiederaufarbeitung ohne Widerstand Ballast abwerfen. Die Aufgabe der Wiederaufarbeitung wäre auf jeden Fall ein Wert an sich, denn damit würde ein ganz besonders gefährlicher Bereich der Kernenergie, besondes hinsichtlich des dadurch zur Verfügung stehenden Plutoniums, abgeschafft. Ich bin aber sicher, daß die gleichen Manager der Elektrizitätswirtschaft, die sich leichten Herzens von der Wiederaufarbeitung trennen würden, knallhart um die existierenden Atomkraftwerke kämpfen werden. Bei PreußenElektra beispielsweise, dem Elektrizitätszweig der Veba, ist das die Basis der Stromerzeugung. Die würde vielleicht ein altes AKW drangeben, aber nicht die Masse ihrer Kernkraftwerke. Andererseits hat jedoch die Atomlobby der Wiederaufarbeitung auch dem Brüter einen starken symbolischen Wert zugemessen. Beispielsweise sind in den Stellungnahmen, die die drei tangierten Ministerien - Umwelt-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium - anläßlich der Veba-Vereinbarung für die Bundesregierung abgaben, markante Sätze nachzulesen, wie: Wenn wir die WAA in Wackersdorf nicht durchsetzen, setzen wir andere Projekte auch nicht durch. Der Symbolgehalt spielt bei der Wiederaufarbeitung eine bedeutende Rolle.

Sie selbst haben bereits vor fünf Jahren propagiert, daß die Atomindustrie weltweit am Ende ist. Mittlerweile ist es aber doch so, daß die Anzahl der betriebenen AKWs in diesem Zeitraum noch gestiegen ist. Zwar gibt es Schwierigkeiten bei der HTR-Linie und den Brütern, aber insgesamt hat eine Konsolidierung der konventionellen AKWs stattgefunden.

Die westeuropäische und amerikanische Atomindustrie ist am Ende, weil sie seit Jahren keine Aufträge mehr bekommen hat. Dagegen ist die Anzahl der betriebenen AKWs weiter gestiegen, weil die Projekte, deren Bau früher - zumeist vor Mitte der siebziger Jahre - beschlossen wurden, zu Ende geführt worden sind. Diese Entwicklung wird auch bald beendet sein; in der Bundesrepublik ist kein AKW mehr im Bau, auch sonst sind es außerhalb der Ostblockländer nur mehr wenige.

Um die Kontinuität eines aufgeklärten Widerstandes gegen die Atomlobby zu gewährleisten, braucht es Gegenexperten wie sie beispielsweise in Toblach versammelt sind. Aber gerade während der Toblacher Gespräche war auch oft zu hören, daß der einzelen Gegenexperte oft zu isoliert arbeiten muß oder gar diszipliniert wird.

Das ist von Land zu Land natürlich verschieden. In den USA und den angelsächsischen Ländern gibt es eine regelrechte Tradition des Gegenexpertentums. Die Wurzeln liegen im Engagement von Bürgerrechtlern in den Kommunen. Dort kann von einer Diskriminierung kritischer Wissenschaftler nicht in dem Maße wie bei uns die Rede sein. Die Reaktion des Establishments in der BRD war ja zunächst die, kritische Experten wissenschaftlich oder zumindest persönlich massiv zu diskreditieren. Zwar gibt es solche Versuche immer noch, doch hat sich die Lage der kritischen Experten einigermaßen konsolidiert. Nicht zuletzt dadurch, daß sich im politischen Raum Kräfte festgesetzt haben, die für Umweltbelange eintreten.

Zunächst die Grünen, zunehmend dann auch die SPD haben dafür gesorgt, daß zum Beispiel in parlamentarischen Anhörungen Gegenexperten auftreten. Auch bei den bürgerlichen Parteien wird inzwischen zuweilen nach der Meinung des Ökoinstituts gefragt. So kommt allmählich eine gewisse „Respektierlichkeit“ zustande.

Was erwarten Sie sich davon, falls es nach den Bundestagswahlen 1990 eine rot-grüne Koalition gibt?

Meine Position ist selbstredend aus politischen Motiven die, daß ich mir eine rot-grüne Koalition wünsche und sie auch unterstütze, wie ich es bereits in Hessen getan habe. Selbstverständlich erwarte ich von so einer Koalition keine Wunder und habe nicht die Illusion, daß eine großartige ökologische Wende eingeleitet wird. Die Macht der Politiker ist im wirtschaftlichen Bereich, der letztlich die ökologischen Probleme hervorbringt, doch ziemlich begrenzt. Politik in diesem Bereich kann dann am meisten erreichen, wenn es auch massiven Druck aus der Bevölkerung gibt. Es ist die Dialektik zwischen Basisbewegung und umweltbewußten Politikern, die hier als treibende Kraft wirken muß.

Interview: Luitgard Koch