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Aufbruch zur Gewaltenteilung in der DDR

Rolf Henrich, Autor des Buches „Der Vormundschaftliche Staat“ und Mitbegründer der Oppositionsgruppe „Neues Forum“, appellierte in der Ostberliner Samaritergemeinde an die DDR-Opposition, erst einmal gemeinsam zu handeln  ■  Von Klaus-Helge Donath

Berlin (taz) - Punkt 20 Uhr schließt Pfarrer Eppelmann die Pforten seines Reiches. Der Saal der Samaritergemeinde im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter den etwa 40 Ausgeschlossenen regt sich kein Protest, ihnen werden die Fenster zum Hof geöffnet. Jeder Satz dringt verständlich nach außen, denn die Wartenden zeigen eine Tugend, die sich in der DDR nicht auf die Partei allein beschränkt: Disziplin. Dazu gehört auch der Respekt vor Autoritäten, diesmal aus den eigenen Reihen.

Den heutigen Abend bestreitet Rolf Henrich, Rechtsanwalt aus Eisenhüttenstadt. Zum Thema „Staat und Recht in der DDR“ soll er referieren. Bekannt wurde Henrich, als er in der BRD sein Buch über den „Vormundschaftlichen Staat“ der DDR veröffentlichte. Das brachte ihm Berufsverbot ein. Er spricht an diesem Abend daher in doppelter Funktion, als Experte und als Leidtragender. Besonders schmerzlich für die SED war an Henrichs Binnenschau der Herrschaftsmechanismen, daß es wieder einmal, wie weiland Rudolf Bahro, einer von ihnen war, der sich zu Wort meldete. Henrich gehört auch zu den führenden Figuren der Oppositionsgruppe „Neues Forum“, die sich kürzlich an alle reformwilligen Kräfte wandte, sich zusammenzufinden, um einen Ausweg aus der politischen Lähmung zu suchen.

Henrich, mit der Attitüde eines engagierten Philosophielehrers, doziert nur kurz über seine perspektivischen Vorstellungen. Denn die meisten der 250 Zuhörer sind gekommen, um etwas über die neue Initiative zu erfahren. Doch Pfarrer Eppelmann beharrt darauf, Informationsfragen ans Ende der Veranstaltung zu legen, um vorher noch inhaltlich zu diskutieren. Man hätte schon befürchtet, daß die Neugier nach Einzelheiten über das „Neue Forum“ die Diskussion dominieren könnte. Wichtigstes Anliegen Henrichs ist der Bildungssektor, der vom Zugriff der Partei befreit werden muß, soll sich wirklich etwas ändern. Hier regt sich der erste skeptische Frager. Wie er das denn mit einer solch trägen DDR-Gesellschaft überhaupt bewerkstelligen will? Das läßt Henrich nicht auf sich sitzen: „Vor einer Woche hätte ich da auch noch gezweifelt“, meint er. „Aber seit der Veröffentlichung unserer Plattform kann ich mich vor Nachfragen nicht mehr retten.“ Und schon ist man wieder beim Thema, der neuen Opposition. Henrich erzählt von Genossen, die ihn jetzt Aufsuchen, und selbst von Bedienstete bei den „Bewaffneten Organen der DDR“, was er mit besonderer Freude kommentiert. Die Motivation vieler Leute im mittleren Alter bringt er auf die Formel: „Jetzt bin ich 45 Jahre alt und hab‘ den größten Teil meines Lebens versessen, nichts ist passiert, nun ist damit vorbei.“ Wie denn in der DDR etwas verändert werden könnte angesichts der Allgegenwart der Partei? meldet sich eine skeptische Stimme aus dem Off. „Auch in der Partei gibt es mittlerweile haufenweise Leute, die so nicht mehr weitermachen wollen, ihren Kopf nur noch nicht raushängen.“ „Allerdings“, räumt Henrich ein, „wird sich die Partei das Wahrheitsmonopol nicht kampflos nehmen lassen.“ Überall verständiges Kopfnicken. Die Zuhörer lassen sich davon aber nicht entmutigen, unbefangen und selten locker schildern sie ihre Erfahrungen mit der Partei und den herrschenden Verhältnissen. Sie thematisieren ihre jahrelange Angst davor, offen zu sagen, was sie dachten. Diese Furcht scheint nun zu schwinden.

Und es sind hier nicht nur die alten Gesichter, die man überall sieht, wo sich in der DDR Protest entwickelt. Viele von ihnen sind zum ersten Mal dabei. Aufbruchstimmung an einem Wendepunkt nennt Henrich das. Zum Abschluß warnt er, im derzeitigen Prozeß Gruppen auszugrenzen oder Gräben gegenüber Parteigenossen aufzureißen. Schon jetzt sei die Eitelkeit vieler Oppositioneller eine Gefahr für ein gemeinsames Vorgehen. Die Anwesenden kümmert das nicht, sie tragen sich scharenweise in die Listen ein. „Diesem Andrang sind wir organisatorisch gar nicht gewachsen“, so Henrich freudestrahlend.

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