: Pannen-Reaktor in Ohu erneut abgeschaltet
Erhöhte Radioaktivität im Reaktorwasser / Sind neun umherirrende Stahlkugeln, die bei Wartungsarbeiten in das Reaktordruckgefäß fielen, die Ursache? / Unter dem Motto „Neun Kugeln für ein Halleluja“ demonstrierten 500 für die endgültige Stillegung ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) - Der Pannenkönig unter den bundesdeutschen Reaktoren, das Atomkraftwerk Isar I bei Ohu im Landkreis Landshut, liegt erneut still. Ein bislang ungeklärter Anstieg der Radioaktivität im Reaktorwasser sorgt für mindestens zwei Wochen für das Aus des ältesten bayerischen Atomkraftwerks. Noch liegt die Konzentration der Radioaktivität im geschlossenen Wasserkreislauf unterhalb der zulässigen Grenzwerte.
Erst am 6. September war Isar I mit Genehmigung des bayerischen Umweltministeriums wieder ans Netz gegangen, obwohl nicht alle Edelstahlkugeln aufgefunden werden konnten, die Ende Juli bei Wartungsarbeiten aus einem beschädigten Kugellager in das Reaktordruckgefäß gestürzt waren.
Ein Sprecher der Betreiberfirma des Atomkraftwerks, der Bayernwerk AG, schließt einen Zusammenhang des neuerlichen Störfalls mit den verschwundenen Kugeln „weitgehend“ aus.
Dagegen hält Thomas von Taeuffenbach vom „Landshuter Bürgerforum gegen Atomkraftwerke“ den „zeitlichen und sachlich-technischen Zusammenhang für offensichtlich“. Die Betreiber selbst würden die erhöhte Radioaktivität im Reaktorwasser auf Schäden an den Brennelementen zurückführen. „Genau diese Gefahr bestand jedoch durch die umherirrenden Stahlkugeln“, argumentiert von Taeuffenbach.
Solch eine Erklärung bestätigt auch Michael Sailer vom Öko -Institut Darmstadt. Er hält den Zusammenhang zwischen den verschwundenen Kugeln und dem Schaden an den Brennelementen für „statistisch übersignifikant“. Sailer befürchtet, daß in Folge der beschädigten Brennelemente die Steuerstabkanäle für die Schnellabschaltung in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Das heißt: In einem Notfall könnte das Atomkraftwerk möglicherweise nicht schnell genug abgeschaltet werden.
Zwei Wochen lang hatten Bayernwerk AG und Umweltministerium den Vorfall verheimlicht, bei dem Ende Juli insgesamt 62 Kugeln mit einem Gewicht von zwei Gramm direkt in den Reaktorkern gefallen waren. Als mindestens neun Kugeln nicht mehr aufzufinden waren, behauptete die Betreiberfirma, alle Kugeln seien in einen Filter gespült worden. Eine Version, der selbst das Umweltministerium und der TÜV widersprechen mußten. Trotzdem erteilte Umweltminister Dick die Genehmigung für die Wiederinbetriebnahme .
Für die sofortige und endgültige Stillegung des Pannen -Reaktors Isar I in Ohu waren erst am vergangenen Sonntag fünfhundert DemonstrantInnen auf die Straße gegangen. Mit Transparentaufschriften wie „Neun Kugeln für ein Halleluja“ und „Schluß mit der Atomlotterie“ hatten sie gegen den Pannen-Reaktor protestiert. Bereits im ersten Jahr der Inbetriebnahme, Ende 1977, mußte das Atomkraftwerk im Kreis Landshut zwanzigmal abgeschaltet werden.
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