: Österreich siegt am Brenner
■ Nach einer Woche Faustrecht beenden die italienischen Lkws erfolglos ihre Blockaden an den Grenzen
Ohne den geringsten Erfolg haben die italienischen Lkw -Fahrer in der Nacht zum Mittwoch ihre Blockaden am Brenner und Reschen-Paß abgebrochen. Die italienische Regierung hatte offenbar Druck auf die Spediteure ausgeübt und sie zum Abbruch aufgefordert. Österreich blieb hart und machte in der Kontingentierung der Transit-Genehmigungen keine Zugeständnisse. Zugleich wurde deutlich, daß die Blockaden nur die Generalprobe für weitere Aktionen gegen das Nachtfahrverbot ab 1. Dezember war.
Seit gestern früh 7.00 Uhr brummen sie wieder. Zu Tausenden kriechen die Lkw-Kolosse wie eh und je über den Brenner, den Reschenpaß und den Grenzübergang in Sillian. Zu spät die Aufforderung der Umweltschützer von Robin Wood, Liegestühle und Zelte an die protestierenden Kapitäne der Landstraße zu verteilen und so die Atempause für Natur und Menschen zu verlängern. Eine Woche lang waren der Bergregion nach Berechnungen der Waldschützer an jedem Blockadetag rund 11,2 Tonnen Stickoxide und mehr als 800 Kilogramm Kohlenwasserstoffe an der Brenner-Autobahn erspart geblieben.
Der seit Jahren schwelende Streit zwischen Italienern und Österreichern über den Lkw-Transit in die Bundesrepublik hatte sich in der vergangenen Woche an einem vom österreichischen Verkehrsminister Rudolf Streicher ab Dezember verhängten bedingten Nachtfahrverbot für die lautesten Brummer, einem Tempolimit für Schwertransporter (60 km/h), vor allem aber an der sogenannten Transitkontingentierung erneut entzündet. Insgesamt 182.000 Durchfahrten will Streicher den italienischen Spediteuren in diesem Jahr gestatten. Dazu je 20.000 Fuhren zwischen Italien und Österreich und im grenznahen Verkehr. Bundesdeutsche Fuhrunternehmen erhalten im selben Zeitraum 258.000 Genehmigungen. Während jedoch die Behörden hierzulande und in anderen Ländern ihr Kontingent nach einem bestimmten Schlüssel an die Spediteure verteilen, gehen die Italiener nach dem schlichten Motto vor: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Die Spediteure lassen ihre Fahrer die Genehmigungen einfach „nach Bedarf“ an der Grenze abholen solange der Vorrat reicht. Ärger gab es schon in der Vergangenheit regelmäßig, wenn vornehmlich die großen italienischen Speditionsunternehmen sich rechtzeitig mit Transiterlaubnissen eingedeckt hatten und andere in die Röhre schauten. Um die Situation zu entschärfen, gingen die Österreicher schließlich vor zwei Jahren dazu über, ihre Italien-Kontingente nur noch in Vierteljahres-Portionen auszugeben. Im August waren die begehrten Papiere für das 3. Quartal - also bis Ende September - mal wieder aus. Die Folge: Immer mehr Lkw-Fahrer mußten an der Grenze immer länger auf zurückkehrende Kollegen und auf deren Transitpapiere warten, um ihre Fahrt fortsetzen zu können. Dazu kam offenbar ein blühender Schwarzhandel mit den begehrten Papieren, den die italienischen Behörden nun durch eine genaue Registratur unterbinden wollen. Tagelange Zwangspausen brachten die südländischen Lkw-Kutscher mehr denn je in Rage und lösten schließlich die Aktionen der vergangenen Woche aus.
Nach einer Woche blieben die Österreicher standhaft. Eine Erhöhung der Durchfahrtkontingente durch Österreich wurde mit den Blockaden ebensowenig erreicht wie der Verzicht auf das bedingte Nachtfahrverbot. Einziges wesentliches Zugeständnis, wenn man den Aussagen aus dem Wiener Verkehrsministerium glauben schenken kann: Die Transitgenehmigungen für das 4. Quartal werden schon jetzt, also vorzeitig, ausgegeben. Für den Schutz der Alpen bedeutet dies weder Sieg noch Niederlage. Weiterhin werden allein auf der Strecke Brenner-Kufstein täglich 4.000 Lkws und 12.000 Pkws im Transit den Tiroler Anwohnern die Ohren volldonnern und die sensible Alpenregion mit Stickoxiden, Kohlenmonoxid, Ruß und Blei belasten - bei steigender Tendenz. In der Rückschau für das Jahr 1985 haben die Österreicher errechnet, daß allein die finanziell faßbaren Kosten des Straßenverkehrs - also ohne Umwelt- und soziale Schäden - die Steuern und Abgaben der Lkw- und Pkw-Nutzer in Österreich um das Dreifache übersteigen. Nur weil die Transportkosten in der Wirtschaft so wenig zu Buche schlagen, kann jeder kleinste Standortvorteil bei den Löhnen, der arbeitsrechtlichen Situation, den Rohstoffen oder den Energiekosten zu den blödsinnigsten Güterverschiebungen durch halb Europa führen. Daß Kartoffeln aus der Bundesrepublik nach Italien zum Waschen gekarrt werden und anschließend wieder zurück, ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel.
EG-weit wird nach Einführung des Binnenmarktes mit einer Verdoppelung des Straßengüterverkehrs bis zum Jahr 2000 gerechnet. In Österreich glauben Umweltschützer und Grüne deshalb auch nicht, daß der Zubau ausreichend großer Eisenbahn-Tunnel für den Lkw-Transport im Huckepack -Verfahren wesentliche Entlastung bringen kann. Derzeit liegt die jährliche Steigerung im Straßengütertransit bei sechs Prozent. Die an sich positiven, verkehrsvermindernden Maßnahmen im Nachbarland Schweiz - 28-Tonnen-Limit, Nachtfahrverbot und höhere Transitgebühren - haben die Situation in Tirol zusätzlich verschärft. „Etwa ein Drittel des Gesamtstraßengüter-Transits“, klagte jüngst der Tiroler Grüne Gerhard Stürzlinger, „deklariert sich als 'Umwegtransit'“. Umwege bis zu 700 Kilometer würden dabei in Kauf genommen. Die Tiroler Grünen fordern deshalb unter anderem die alpenweite Einführung „transitreduzierender Maßnahmen“ nach Schweizer Vorbild.
Bereits Ende Mai verabschiedete der Tiroler Landtag einen Entschließungsantrag mit Forderungen, die über die von der Regierung in Wien beschlossenen Maßnahmen weit hinausgehen. Das Landesparlament verlangt darin unter anderem ein generelles Nachtfahrverbot für Lkws über 7,5 Tonnen nicht nur für die Tiroler Autobahnen, sondern auch für die parallel verlaufenden Bundes- und andere stark frequentierte Straßen. Als Sofortmaßnahmen gegen die Transitlawine fordern die Tiroler einen „Öko-Zuschlag zur Mautgebühr für Transit -Lkws“. Die Einnahmen aus der Gebühr sollen für Umweltmaßnahmen im Lande verwendet werden. Außerdem müsse das Wochenendfahrverbot für Lkws ausgeweitet werden. Weitere Transitrouten will der Tiroler Landtag nicht mehr zulassen und die vorhandenen mit sogenanntem Flüsterasphalt ausstatten.
Ob gerade die letzte Forderung bei den geplagten Anwohnern sofort auf ungeteilte Zustimmung stößt, scheint nach der folgenden „wahren Geschichte“ aus der Zeit der Blockade allerdings nicht mehr ganz so sicher: ein Haus an der Autobahn in Schönberg (Tirol). Am Abend legt sich das Ehepaar zur Ruhe. Vier Uhr früh. Sie setzt sich im Bette auf: „Karl, schläfst du auch so schlecht?“ Er: „Ja, es ist so still. Mir kommt es vor, als passiert jeden Augenblick ein Unglück.“
Gerd Rosenkranz
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