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I AM HAPPY

■ „Fragile Circumstances“ in der Tanzfabrik

Eine Geschichte schwebt vorüber, in der Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig stattfinden, ebenso wie Musik oder Sprache, Tanz und Film. Das Leben kommt aus dem Gestern und findet glücklicherweise in die Knochen der Menschen zurück.

So dreieckig wie das Bühnenbild - gestaffelte Dreiecke, leinenbespannte Metallträger, auf die Aquarelle, Schwarz -Weiß-Gesichter und rot-grüner Farbzerfall eines Films projiziert werden - beginnen die Bewegungen der Menschen. Ein Paar bewegt sich fast synchron und korrespondiert doch nicht. Ein Sprechgesang aus dem Irgendwo erklärt, what's going on: „fragile circumstances“, zerbrechliche Verhältnisse. Die Gliedmaßen sind schon auseinandergefallen, die Personen halten nicht stand. Beide sind gleichermaßen in schwarze Anzüge gekleidet, wehren sich richtungslos mit Karateschlägen. Rapdance. Eine undefinierte Beziehung, in der Leiten und Folgen in dieser symbiotischen Parallelität erkennbar werden. Schließlich bringt Er Worte zustande: „Good job, easy going. I have my friends. Fond of many fine qualities, wonderfuls opportunities. Good memory, stable emotionally. I am happy.“

Die Wahrheit kommt aus der Erinnerung: Medienwechsel. Im Schwarz-Weiß-Film zieht die Vergangenheit über die Bühne; Er läuft wie hundert andere Menschen auf der Straße rum, geht, der Er niemand ist, wie alle anderen und fängt in einem plötzlichen Flash an zu tanzen. Dann auf einem Boot am Meer, Er lacht und die Musik wechselt: „I wish I could hold your hand tonight...“ Neue Szene. Er windet sich sehr zögernd nackt am Strand, ist verkrampft, direkt maniriert, wird von einer Stimme zum Zahlen, zur Entscheidung getrieben, doch die Versteigerung findet irgendwo ohne Ihn statt, bei 10.000 hat Er das Mitbieten verpaßt.

Das Paar trifft sich real auf der Bühne wieder. Bei Trommelmusik ist jetzt die Richtung völlig verloren, sie taumeln vergeblich auf der Stelle. „Der Hut ist groß, die Kraft ist da, wer will noch mal?“ Fröhlichkeit? Sie flappen herum, zergleiten, fallen sich selbst durcheinander, begegnen nur den Zuschauern mit frontalen Blicken. In der gegenseitigen Manipulation sind sie einig.

Szenenwechsel. Sie findet sich allein im Raum, sucht am Boden nach etwas, hat ja da doch Halt, macht kurze, katzenartige Sprünge, ruckhaft und doch flexibel, die Musik ist wie ein Windblasen. Und auch Ihr Gesicht liegt im Wasser, wieder eine Filmrückblende, Sie kommt aus demselben Element wie der Mann, entsteht langsam wieder, organisch hell.

„All dies könnte in einem einzigen Satz zusammengefaßt werden“, sagt die Stimme und zur Sprache bewegt sich das Paar nun total synchron, als einzelne sicher. Die Musik beginnt heiter, die Leinwandbilder dazu sind gesund, grüne Blätter, bunte Blüten. Nur Er hat so wenig Gesichtsausdruck, „öfter als beliebig oft“, spricht es wieder, „somit beliebig oft“. Sie bemüht sich ein bißchen um Ihn, Seine Bewegungen bleiben persönlichkeitslos, Sie hat mehr Schwerkraft im Kopf. „Und beliebig lange“, die Stimme, diese verfluchte Wahrheit, das Reibeisen. Es kommt zu spastischen Versuchen, etwas zu fassen.

Seine Bewegungen sind nun leicht und flüssig, Er hält keine Spannung in sich, und beim Auseinanderfallen ist Sie im Abweisen dominant. Es ist ein innerer Impuls, Ihr Körper will Ihn von sich aus loswerden, bekommt dabei Tempo. Schließlich steht Sie mit Ihrem Romy-Schneider-Gesicht (kein Vorwurf!) da und atmet, ernst. „I don't wait for your call, oh no“, singt die Musik.

Es ist eine Umkehr der klassischen Tanzposen. Beide sind zwar gleich groß, gleich gekleidet, gleich voneinander körperlich belastet, aber Sie schält sich schließlich als Einzelne hervor. Am Ende steht Sie mit leeren Händen da, böse, und kann alles nicht fassen. „I am happy“, sagt Sie; vielleicht stimmt es, vielleicht will Sie dem Stereotyp nur gewachsen sein und ist nicht besser als Er am Anfang. Ka Rustler macht mehr Gesichtsarbeit, zeigt Veränderung in ihrem Gesicht, während Kurt Koegel tänzerisch leicht und weich ist, aber als Darsteller des Mannes nur Typ ist.

Sophia Ferdinand

„Fragile Circumstances“ mit Ka Rustler und Kurt Koegel in der Tanzfabrik, Möckernstraße68, 1-61, jeweils Freitag bis Sonntag um 20.30Uhr.

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