: Eine Meinung ist zu begründen
■ Betr.: dito
betr.: dito
Seitdem es sich die taz zur Aufgabe gemacht hat, Dokumente intellektueller Bedürftigkeit von MitarbeiterInnen der Grünen im Bundestag zu veröffentlichen, hat der Unterhaltungswert dieses Blattes neue Grenzen erreicht. Am Donnerstag wurde uns auf Seite 8 ein Elaborat von B.Ulrich zu Gesicht gebracht, das in seiner ganzen Nichtigkeit am besten mit Stillschweigen zu behandeln wäre, wären nicht die REPs ein viel zu ernstes Thema. Die begriffliche Hilflosigkeit, mit der unser Autor dem Phänomen Rechtsextremismus zu Leibe rückt, läßt, übertragen auf die Gesamtpartei (inklusive AL), Schlimmes fürchten. (...)
Nun kann jeder seine Meinung haben. Besser ist's, sie wird begründet. Daß die Kennzeichnung der REPs als „faschistisch“ oftmals pauschal erfolgt und einer eingehenderen Untersuchung bedarf, ist ohne weiteres zuzugestehen. B.Ulrich leistet sie jedenfalls nicht. Statt dessen überrascht er den/die LeserIn mit einer ganzen Reihe von Vorurteilen, die zu begründen er nicht für nötig befindet. Da ist die „Ökologie“, die jetzt so schön auf dem Bremer Parteitag der CDU die „altdeutsche Fragestellung“ verdrängt hat; da ist „Revisionismus und Revanchismus in der BRD“, die nach dem Mini-Exodus einiger tausend Jung-DDRlerInnen „aufgehört (haben), sich von selbst zu verstehen„; wir haben einen „Antikommunismus“, der besonders in den Reihen der Grünen im Absterben begriffen ist; und schließlich ist da das Problem des Rechtsextremismus, „gefährlich“, ja, ein „wahre(s) Unwesen“, aber, gottlob, nur die „Schutzgemeinschaft deutscher Mann“!
Fahrlässig? Naiv? Oder System? Wem so die Fakten ins Gesicht schlagen, muß ein dickes Fell haben. Sein Erkenntnisinteresse, das B.Ulrich nach eigenem Bekunden gar nicht haben darf, ist politisch determiniert und bewegt sich im Dunstkreis sozial-apologetischer Beschwörungen.
1. Wer „Demokratisierung“ nur noch als „ökologische Notwendigkeit“ gelten lassen will, hat jeden historisch begründeten kritisch-emanzipatorischen Anspruch verspielt.
2. Die staatsmännische Allüre, Protest als im Grunde nicht gesellschaftsfähig einzustufen, gehört zum Repertoire der etablierten (bürgerlichen) Parteien. Daran ändert auch das Schwadronieren von „neue(r) Radikalität“ nichts, die eh von B.Ulrich - analog zum „frechen“ Journalismus der taz - als Brechen von „Tabus“, also reinen Denkwürdigkeiten, verstanden wird.
3. Der hehre Anspruch, die REPs „politisch-argumentativ“ bekämpfen zu wollen, frönt einem Idealismus, der die Aufbruchstimmung der bürgerlichen Gesellschaft vergangener Jarhunderte, aber nicht den erreichten Standard historisch -soziologischer Reflexion widerspiegelt. Seit wann wird auf Argumente gehört? Wenn es danach ginge, lebten wir schon seit biblischen Zeiten nach dem Worte der Propheten im Himmel auf Erden.
Ich bin an der ursächlichen Abschaffung des Faschismus interessiert, nicht an der palliativen (Service für unsere nicht so intellektuellen LeserInnen: palliativ schmerzlindernd. d.sin) Behandlung einiger gesellschaftlicher Symptome. Ein wirksamer Antifaschismus muß der historischen Tendenz einer herrschaftsfreien Gesellschaft verpflichtet sein, oder seine Analysen, von der Praxis erst gar nicht zu sprechen, taugen nichts.
Die Forderung von B.Ulrich, die REPs zum Sprechen zu bringen, um sie in Widersprüche zu verwickeln, ist unter parlamentarischen Bedingungen gewiß ein Mittel des politischen Kampfes, vorausgesetzt, der/die KämpferIn verwickelt sich selbst nicht in Widersprüche. Was ist denn, nach B.Ulrichs Behauptung, nicht dumm von dem, was die REPs sagen? Wenn alle alles falsch machen, „Lügendiskurse“ in die Welt setzen, die von den REPs, wenn sie nicht gerade von sich aus in „Widerspruch“ setzen, „nachgeplappert“ werden, was sagen dann bitteschön die REPs Schlaues?
Aber B.Ulrich will sie ja „schlagen“, mit Argumenten versteht sich, auf eigenem und fremdem Gebiet. Sorgen darum wird er sich nicht machen müssen. In Sachen „Widersprüche“ hat er bereits die Mittlere Reife abgelegt. Sind grüne „Realos“ TraumtänzerInnen, die die Gegenwart zur Utopie verklären und kritische Gegenstimmen als utopisch verschreien, dann wird es für die „Fundis“ an der Zeit, ihren Realismus allmählich auszuspielen, um einer effektiven antifaschistischen Arbeit Perspektive und Ziel zu geben.
Andree Slickers, Berlin 21
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