: K(l)eine Zukunft für Versuchsreaktor Jülich
Spekulationen über ein Leben nach dem Tod für den letzten bundesdeutschen Hochtemperaturreaktor in der Kernforschungsanlage Jülich verflüchtigen sich / Brisante Versuche stehen aber weiter auf dem Programm / Nachbarin reicht dagegen Klage ein ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Die Spekulationen um die Zukunft des 15 Megawatt-Hochtemperaturreaktors, der von der kommunalen Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR) in der Kernforschungsanlage Jülich betriebenen wird, sind um eine Variante ärmer. Nach Angaben des Sprechers der Wuppertaler Stadtratsfraktion der Grünen, Peter Meister, können alle Versuche der „Energie Rohstoff und Anlagen GmbH“ (ENRO), die Anteile der SPD-regierten Städte München, Bremen und Düsseldorf an dem Versuchsreaktor für ein paar Mark zu erwerben und dann den Reaktor weiter zu betreiben, „als erledigt angesehen werden“.
Keine der genannten Städte sei „verkaufswillig“, erklärte Meister, der auch im Aufsichtsrat der ebenfalls am AVR -Reaktor beteiligten Stadtwerke Wuppertal sitzt. Zudem erlaube der AVR-Gesellschaftervertrag einen Verkauf an Dritte nur bei Zustimmung aller Gesellschafter.
Damit scheidet der Jülicher Versuchsreaktor endgültig aus für die Rolle des „Vorzeigereaktors“, der potentiellen ausländischen Käufern eines Hochtemperaturreaktors (HTR) vorgeführt werden könnte. Nach dem „Aus“ für den THTR in Hamm-Uentrop, der diese Funktion erfüllen sollte, hatte man die kleinere Anlage in Jülich für diese Aufgabe vorgesehen.
Im vergangenen Monat war (leider auch in der taz) mehrfach fälschlich berichtet worden, bei der ENRO handele es sich um die Tochter der „Energie Verwaltungsgesellschaft mbH“ (EVG), die ihrerseits von kapitalkräftigen Unternehmen wie den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW), der Deutschen Bank, Contigas und der Allianz gehalten werde. Tatsächlich handelt es sich jedoch bei der Mutter der an den AVR-Anteilen interessierten ENRO um eine in der Essener Hyssenallee ansässige Schreibtischfirma, die ebenfalls den Kurznamen EVG trägt.
Fraglich bleibt aber weiterhin, ob und wann die Kernforschungsanlage (KFA) Jülich in dem AVR-Reaktor, der seit Januar 1989 keinen Strom mehr liefert, die umstrittenen Druckentlastungsversuche durchführen kann. Gegen diese Versuche, die der Untersuchung radioaktiver Emissionen aus dem Primärkreislauf des Reaktors nach schweren Störfällen dienen sollen, liegt beim Oberverwaltungsgericht Münster die Klage einer Frau aus der Umgebung des Reaktors vor. Die Rechtsanwältin Wiltrud Rülle-Hengesbach hat als Vertreterin der Klägerin angekündigt, die Klageschrift in nächster Zeit juristisch und technisch weiter fundieren zu wollen.
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen (SPD) hatte zuvor die Druckentlastungsversuche im Frühjahr ohne viel Aufsehen genehmigt. Gegenwärtig prüft Jochimsens Behörde, ob die Klage aufschiebende Wirkung hat.
Günther Ivens, Hauptabteilungsleiter bei der AVR, erklärte gegenüber der taz, man stehe „Gewehr bei Fuß“ und warte auf die Freigabe für die Versuche. Da die lange beantragte Genehmigung zur endgültigen Stillegung des Reaktors weiter ausstehe, habe sich die KFA entschlossen, „das eine oder andere aus dem noch nicht abgeschlossenen Versuchsprogramm des AVR-Reaktors nachzuholen“. Die Druckentlastungsversuche seien harmlos, meinte Ivens. Es gehe darum, die radioaktiven Stoffe aus dem Reaktordruckbehälter über einen Filter in einen anderen druckfesten Behälter zu leiten und nachher den Filter zu untersuchen. An der Finanzierung der Versuche seien neben der Kernforschungsanlage (zwei Millionen Mark) auch Amerikaner und Japaner beteiligt.
Derweil hat die Fluchtbewegung kommunaler Stadtwerke auch aus der AVR eingesetzt. Die Wuppertaler Stadtwerke konnten von AVR-Geschäftsführer Chrysanth Marnet nur mit einer offenen Drohung davon abgehalten werden, die AVR Knall auf Fall zu verlassen und damit den Beschluß zur Auflösung der Gesellschaft auszulösen.
Um finanzielle Belastungen der Stadtwerke - nach dem Muster der durch das Debakel des THTR in Hamm-Uentrop arg geschröpften kommunalen Energieversorger - zu vermeiden, so Marnet gegenüber den Wuppertalern, müsse man sich weiterhin mit der einzigen Nutzerin des Reaktors, der Kernforschungsanlage Jülich, gutstellen. Die werde dann auch für die Stillegungs- und Abrißkosten aufkommen.
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