: Prima Leben unterm Stiefel
Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Jochen Rindt ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
Knapp daneben ist auch vorbei, heißt es im Volksmund; ich behaupte, je knapper, desto danebener. Gerade ein winziges Detail, ein winziger, irgendwie schräger Fleck, eingeflossen in einem unbedachten Moment in einer sonst stimmigen Umgebung sprengt diese mit einer viel gewaltigeren Wucht, als es ein offensichtlicher Fehlgriff tun würde.
Jeder kennt es von Loriot: um wieviel tausend Male genialer ist die kleine Nudel auf seiner Nasenspitze sonst korrekt gekleidet im 5-Sterne-Restaurant als ein Hallervorden, der sich mit Signalen des Jetzt-Lachens so überhäuft, daß man schon ein selten unsensibles Vieh sein muß, um mehr als zu gähnen.
Doch muß man nicht auf die x-te Wiederholung von Loriot im Fernsehen warten, um solche Bonbons, die den Alltag versüßen, vergegenwärtigt zu bekommen. Überall lauern knappe Fehlschüsse, die erst so recht den Gesamthorizont aufhellen. Man nehme zum Beispiel den Krimi „Ein Mord am Lietzensee“ von Richard Hey, ersterschienen 1973. Mit viel Liebe und Hingabe macht er sich an die Innenausstattung einer Rockerbande, inklusive sozialem Background. Wie wenig Ahnung er allerdings von der Materie hat, davon tut der Name kund, den er der Rockerbande gibt: Lucifers Lieblinge. Einer Rockerbande solch einen Namen zu geben ist so naheliegend, daß man ihn in die Wüste schicken muß; in seinem Vorbeischrammeln an der über die Achsel geworfenen Nebeneindeutschung von Hells Angels sowas von knapp daneben, daß man ganze Ozeane in den Abgrund gluckern hört. Und insgesamt von einer Dimension, die sich nur vorstellen läßt, wenn sich eine deutsche, den Rolling Stones nacheifernde Band den Namen „Flinke Kiesel“ geben würde.
Doch wozu so weit zurückgehen, liegt das hinkende Detail doch so nahe. Die BVG, in ihrer Werbung bisher eher bekannt für altbackene Witzzeichnungen, wie man sie sonst noch von der Rückseite des 'Goldenen Blattes‘ geliefert bekommt, Marke: „Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand aufs Geld“, versucht sich ja schon seit geraumer Zeit um ein flotteres Image. So ist nicht vergessen der an Perestroika gemahnende Demokratiefeldzug, als es um die Frage der neuen S-Bahnen ging. Bei Kennern noch immer beliebt auch der „Ick gloobe, du spinnst„-Aufkleber an den S -Bahn-Türen, mit denen vor dem Ausstieg aus den Waggons und weiterhinigen Trittbrettfahren (im Jargon S-Bahn-Surfen genannt) gewarnt wurde. Gestylt der Aufkleber mit einem Jungpunkerkopf, welcher allerdings eher an die Bravheit eines Zehlendorfer Schüler-Union-Mitglieds gemahnt, der von seiner 'Brigitte‘ lesenden Mutter Mode verordnet bekommen hat und solchermaßen aus der Wäsche schaut, daß ihm alles zuzutrauen ist: nur nicht die Übertretung eines Verbotes.
Wirklich hitverdächtig allerdings ist erst die Werbung für die BVG-Umweltkarte. Zuerst scheint es ja, als hätte man bei der BVG Anschluß gefunden an die frischauf-plärrende, unkonventionelles Volk markierende Werbung a la Langnese & 3 -Minuten-Terrine (welche selber schon in der exakt daneben gehenden Kopie von Woody Allen das Schwarze im Auge beschädigt). Jedenfalls beherrschen die Werbezöglinge auf den Plakaten diese zwanglos legere Haltung zwischen Pudelmütze, locker gebundener Krawatte, Sonnenbrille im Haar und origineller Fliege unter Halbglatze. „Her damit“, rufen sie, knapp und eindeutig, schnörkellos voraus zur Umweltkarte, die im Abo per Post kommt und en gros, auf ein Jahr hin gekauft, superbillig ist. Doch was tut die Werbung dann? Sie ruft: „Das ist billig, das ist bequem“ und desavouiert mit solch Billigem-Jakob-Geschrei die selbstbewußt aufgebauten jungen Menschen auf den Plakaten, die doch mehr wollen als liegengelassene Bratwürste verkaufen, die weg müssen, bevor sie schlecht werden. Die Krönung der Werbung aber, das Detail, das den ganzen Werbefeldzug in den Matsch haut, ist die großzügig angebotene Wahl, die man „zwischen vier interessanten Motivreihen für Ihre BVG-Umweltkarte“ hat. Wer auf sein Sonderangebot noch ein Billiggeschenk draufpacken muß, dem glaubt man die warmen Semmeln nicht.
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