„HERE COMES THE SUN“

■ Steve Harley & Cockney Rebel im Quartier Latin

Siebzehn Jahre war er von der Pop-Bildfläche verschwunden, jetzt ist er wieder da - hurra. Was Steve Harley in der Zwischenzeit getrieben hat? Nicht viel, Vater von ein paar Kindern geworden, aufs Land gezogen und in seinem Volvo durch die Gegend gefahren sei er, lautet die lapidare Antwort im Radio. Was soll man auch groß anstellen, wenn man, bei nicht zu protziger Lebensweise, von den Tantiemen seiner Hits leben kann?

Somebody called me SEBASTIAN. Der Schmachtfetzen der Siebziger par excellence, ist in seiner Wirkung auf die Heranwachsenden einer neuen Popgeneration nicht zu überschätzen. Höchstens noch Angie und Nights in White Satin haben ähnliche Folgen gehabt.

Und nun steht unser Mann - plötzlich, möchte man sagen wieder auf einer Bühne. Aber nichts an seinem Auftritt erinnert an die Überraschung eines „plötzlichen“ Wiederauftauchens. Er war nie wirklich verschwunden, vielleicht ist es das. Er singt, als habe er sich nicht verändert, auch wenn ich zum Beispiel ihn damals nie gesehen habe. Bis auf das lichtere Haar, das ihm auf die Schultern und nicht mehr in die Augen fällt. Steve Harley schwitzt, schwitzt wie kein anderer. Während er die Akustische umgreift, läuft ihm der Schweiß den Arm herunter, über die Finger und tropft in einem fort vom Hals der Gitarre. Er schwitzt um so mehr, als er die dicke, schwarze Jacke mit den Armeeknöpfen nicht ablegen will. Als schütze sie ihn vorm Publikum. Noch weiß er nicht, was die Meute von ihm erwartet. Aber darum kümmert er sich nicht, er spielt altes, aber auch neue Titel aus einem Album, an dem er seit Beginn des Jahres arbeitet. Auch eine Ovation an Motown und Smokey Robinson ist dabei: My first love.

Langsam taut er auf, erzählt kleine Geschichten zu den Songs, wechselt in Ruhe die gerissene Saite, läßt sich nicht antreiben. Viele im Saal sind in seinem Alter, kennen die Texte auswendig, summen oder singen jeden Refrain mit. Harley und seine Band sparen es sich, irgend jemanden zum Mitklatschen zu animieren, alles passiert wie von selbst. Auch als hartgesottener Feind jeder Verbrüderung von Akteuren und Publikum sehe ich mich in diesem Konzert von der Bewegung der eigenen Hände überrumpelt. Hier veranstaltet kein alternder Sänger ein künstliches Comeback, um seine Rente zu sichern. Steve Harley verströmt nicht den modrigen Geruch seiner Kollegen, die, wie Mick Jagger, alle paar Jahre sich selbst und ihre Band exhumieren, um noch einmal vor knackigen Mädchen die angerosteten Hüftgelenke zu schwingen und dabei immer so tun, als sei es das letzte Mal.

Bei Harley ist es weder das erste, noch das letzte Mal. Er geht in die Knie, zieht sich mühsam am Mikrophonständer empor, reckt den Fans die Hände entgegen, signiert zwischen zwei Liedern ein T-Shirt, wirft es zurück in die Menge, fletscht die Zähne und lacht über sich selbst. Hier kommen Original und Fälschung, was mir beim 'Hör Zu'-Bilderrätsel damals nie gelang, zur Deckung. Steve Harley scheint auf der Bühne nicht anders zu sein als wenn man ihn zufällig in seinem englischen Landhaus besuchte. Eigentlich keine erwähnenswerte Sache, aber in einer Zeit, in der designte Synthetik als „Musik“ auftritt, ein Ereignis.

Auch seine Band - außer dem Schlagzeuger ist niemand von früher mehr dabei - strahlt einfache, direkte Spielfreude aus, die ruhigeren Stücke werden mit melancholischen Gegeige verziert, hier und da ein paar Bläser und Streicher aus dem Synthie; gewißt ein wenig dick aufgetragen, gewiß ein wenig sentimental und alles nicht neu, sondern uralt, so als läge zwischen den Siebzigern und heute nicht Punk und all das.

Manchmal darf man ruhig siebzehn Jahre auf die Fortsetzung eines guten Konzertes warten.

Andreas Becker