: Kein Herz für Motorboote
■ Stromtrasse war kein Thema / Motorboote auf der Havel dagegen sehr / Ein Vater fragte: „Wo sollen wir bloß mit unseren Kindern hin?“
Die aktuelle Diskussion um den Stromlieferungsvertrag interessierte so gut wie niemanden während der Diskussion mit Umweltsenatorin Schreyer am Samstag nachmittag im Jagdschloß Glienicke. Ob Kleingärtner, Havelchausseebenutzer oder Busfahrer - jeder stellte sein eigenes Problemsüppchen aufs Feuer. Die AL-nahe Senatorin reagierte darauf wie ein Blitzableiter: „Wir wissen, daß es noch viel zu tun gibt, aber leider hat der Tag nur 24 Stunden.“ Dies befriedigte das Völkchen zwar nicht - aber es dämpfte, zumindest kurzfristig, die Lautstärke im prall gefüllten Schinkelsaal. Ein junger Mann sprang beherzt der Senatorin bei: „Immerhin ist dieser Senat konsequenter!“ - was dann auch mit sofortigem heftigen Beifall belohnt wurde. Allerdings nur aus den vorderen Reihen - hinten rechts hatte ein Trüppchen für diesen Einwurf nur ein mißtrauisches Grummeln übrig. Kein Wunder - denn deren Problem lag auf dem Wannsee in Form eines Motorbootes. „Wieviel Fahrverbote für Motorboote wollen sie noch aufstellen?“ brach es aus den erhitzten Gemütern hervor, und: „Is doch klar, det sich viel Rauch entwickelt, wenn sich an verbotsfreien Tagen allet ballt!“ Nun also war der Schleier gelüftet, der Fehdehandschuh gezückt und auf den Boden geworfen. „Wo sollen wir denn hin mit unseren Kindern, wenn nicht aufs Boot?“ versuchte ein Mann seine existentiellen Nöte zu erläutern - ungeachtet der Tatsache, daß es in Berlin tatsächlich noch Familien ohne Motorboot geben soll. Doch die Senatorin blieb hart: „Die Umwelt ist uns wichtiger als Wassersport, also: weniger Motorboote!“ Für diese Konsequenz wurde sie dann auch wenig später durch einen frischen Luftzug belohnt - die Motorbootlobby verließ, bei so viel Ignoranz kopfschüttelnd den Saal.
So manche Zuhörerstirn legte sich in Falten, wenn die Senatorin entschlossen von Fremdwort zu Fachtermin sprang. Die Neugierde auf „grüne“ Politik konnte Schreyer bei den ZuhörerInnen möglicherweise steigern - nicht aber die Akzeptanz.
Martina Habersetzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen