piwik no script img

Behinderte Sportler im Streit

■ Die Gründung eines Weltverbandes der Behindertensportler gelingt zwar, aber die inhaltliche Einigkeit fehlt / Beispiel: Rollstuhlfahrer wollen keine geistig Behinderten am Start sehen

Düsseldorf (taz) - Here Einigkeitswünsche über die Lippen zu bringen ist ungemein leichter, als sie in die Tat umzusetzen. Nicht anders war es auch auf der Gründungsversammlung des Internationalen Weltverbandes für die Behindertensportler. Vor zweieinhalb Jahren hatten die Vertreter der bestehenden sechs Weltverbände für Körperbehinderte, Querschnittsgelähmte, Blinde, Gehörlose, cerebral Bewegungsgestörte und geistig Behinderte in Arnheim einstimmig (!) beschlossen, einen gemeinsamen Dachverband zu schaffen.

Von Einstimmigkeit war bei dem Gründungstreffen in Düsseldorf am Wochenende keine Spur. Alte Rivalitäten zwischen den verschiedenen Behinderungsgruppen brachen wieder auf, es wurde gekämpft um Einfluß und Pöstchen, „Dallas und Denver am Niederrhein“ konnte man dieses Schau(er)spiel nennen. Stolz können die 240 Delegierten aus 46 Nationen nicht sein mit ihrem Minimalkonsens: Internationales Paralympisches Komitee (IPC) heißt der neue Verband.

Es kreißte der Berg und gebar eine Maus. Nicht anders ist es mit dem IPC. Da die Delegierten in Düsseldorf den vorgelegten Satzungsentwurf nicht vollständig diskutieren konnten, fehlt dem neuen Weltverband das Grundlegende. Bis Juli nächsten Jahres, dann finden im niederländischen Assen die Weltspiele der Behinderten statt, soll das neugewählte Exekutiv-Komitee dieses Papier ausarbeiten (Dem IPC -Präsidium gehört als 1. Vorsitzender Reiner Krippner an, der Präsident des Deutschen Behinderten-Sportverbandes.) Genauso ungeklärt ist die Finanzierung des IPC. Der nächste Verhandlungsmarathon in Assen ist schon programmiert.

Die wichtigste Aufgabe des neuen Präsidiums ist es aber, sein Verhältnis zu den immer noch bestehenden sechs Behindertensport-Weltverbänden zu klären. Ursprünglich sollten sich diese Organisationen nach der Gründung des IPC selbst auflösen. Doch die Herren Funktionäre denken nicht im entferntesten daran. Zu sehr haben sie sich an ihre Positionen gewöhnt. Auch in Düsseldorf schafften sie es immer wieder, den Gründungsakt zu verschleppen. Wie das IPC mit seinem Präsidenten Robert Steadward (Kanada) es schaffen will, angesichts dieser Ausgangssituation einen starken und handlungsfähigen Verband aufzubauen, ist ein großes Rätsel. Die Gefahr, daß die Delegierten in Düsseldorf ihr Plazet für die Schaffung eines Wasserkopfes gegeben haben, der niemandem nutzt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Steadward und seine Crew müssen zuerst die Probleme im eigenen Haus lösen, bevor sie sich weiter für die Teilintegration einer Behindertensportdisziplin in das olympische Programm engagieren. Der neue IPC-Präsident will seine Gespräche mit Juan Samaranch vom IOC zu diesem Thema fortsetzen, ihnen sogar „höchste Priorität“ geben.

Doch nicht die olympischen Spiele, sondern die Paralympics, die Behinderten-Olympiade, werden die IPC-Führung in den kommenden Monaten in Beschlag nehmen. So z.B. haben die Rollstuhlfahrer einen Boykott der Paralympics in Barcelona angedroht, falls dort geistig Behinderte an den Start gehen sollten. Auch die Gehörlosen wollen nicht ins Baskenland, allerdings aus anderen Gründen. Da sie nicht „körperlich behindert“ seien, wollen sie ihre Weltspiele für die Gehörlosen erhalten wissen. „Nur dort fühlen wir uns wohl“, sagte ihr Präsident Gerald Jordan. Probleme en masse also.

Es ist sicherlich ein großer Fortschritt, daß die Behindertensportler nach außen nun mit einer Stimme auftreten; ob sie laut genug ist, um gehört zu werden, ist eine andere Frage. Am treffendsten formulierte es mit typisch österreichischem Charme Daniel Binter aus Wien: „Wir sind nach Düsseldorf gekommen, um ein Auto zu kaufen. Was wir bekommen haben, ist ein nicht funktionierendes Moped.“ Es sei nun die Aufgabe aller Behinderten, es zum Fahren zu bringen.

Ralf Köpke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen