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Stasi geleimt - DDR- Opposition vereint

■ Landesweites Treffen der verschiedenen Gruppen vorgezogen / „Neues Forum“ soll Dachorganisation werden / Hundehalter und Rosenzüchter von SED gewürdigt

Berlin (ap/taz) - Den Angehörigen des Ostberliner SED -Geriatrie-Clubs dürfte der Sonntagskuchen im Halse stecken geblieben sein: die Reformgruppen der DDR haben bei einem vorgezogenen Treffen in Leipzig beschlossen, gemeinsam unter dem Dach des „Neuen Forums“ weiter zu arbeiten und den „Alleinvertretungsanspruch der führenden SED brechen“ zu wollen. Dies erklärte der thüringische Pfarrer Edelbert Richter gestern nach dem Treffen von mehr als 80 VertreterInnen aus verschiedenen Gruppen.

Ziel der Bewegung, so die Mitbegründerin des Neuen Forums, Bärbel Bohley, sei nicht die Einführung des Kapitalismus, sondern „ein anderer Sozialismus als der in der DDR praktizierte“. Das pfiffige Vorgehen der Demokratiebewegung muß Partei- und Staatsführung umso mehr schmerzen, als deren Propagandaapparat gegen die „Staatsfeinde“ vom Neuen Forum am Wochenende erneut heiß gelaufen war.

Ursprünglich war das erste landesweite Treffen für den 2. Oktober geplant. In Erwartung polizeilicher Maßnahmen sowie unerwünschten Besuchs von Seiten der aufdringlichen Popelinejackenträger aus dem Ministerium für Staatsicherheit hatte die Leipziger „Initiativgruppe Leben“ das vorgezogene Treffen anberaumt.

Der Einladung folgten neben VertreterInnen des Neuen Forums Mitglieder des „Demokratischen Aufbruchs“, der Organisation „Demokratie jetzt“, der „Vereinigten Linken“, der Initiativgruppe zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei sowie Angehörige einer sogenannten „Freien demokratischen Union“. Mit Ausnahme der letzten, noch unbekannten Gruppierung diskutierten sämtliche bedeutsamen Strömungen der DDR-Opposition. Mit am Tisch saßen ebenfalls einige regionale Vereinigungen. Weitere Einzelheiten der Debatte wurden bis zum Redaktionsschluß nicht bekannt.

Von den zu erwartenden Repressionen gegen die UnterzeichnerInnen der Plattform des Neuen Forums lassen sich offenbar immer weniger Menschen einschüchtern. Nach Angaben von Bärbel Bohley unterschrieben bisher über 4.000 Personen den Aufruf „Aufbruch 89“, der einen „demokratischen Dialog über die Aufgaben des Rechtsstaats, der Wirtschaft und Kultur“ fordert. Diesen Aufruf hatte das Innenministerium vergangene Woche in einer Zwanzig-Zeilen -Erklärung als „staatsfeindlich“ eingestuft und das Neue Forum für illegal erklärt.

Weil der Staatsapparat die DDR-BürgerInnen bekanntlich für etwas „unbedarft“ hält (O-Ton des Kultusministers), definierte die 'Junge Welt‘, Organ der „Freien Deut Fortsetzung Seite 2

Kommentar Seite 8

Bericht über die DDR-Ausreißer Seite 2

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schen Jugend“ am Samstag den Begriff der Staatsfeindlichkeit. Demnach verstößt gegen DDR -Verfassungsbestimmungen, wer „Reformen zur Wiederherstellung kapitalistischer Produktionsverhältnisse anstrebt“ oder das „verbriefte Recht auf Mitbestimmung durch Schaffung einer Opposition nach westlichem Vorbild ersetzen will“. Im übrigen brauche das Land kein neues Forum, da schon eines existiere: „Die FDJ ist ein großes Forum, kein neues, sondern eins, das von diesem Kontakt untereinander schon immer lebt.“ Eine vergleichbar humoristi

sche Einlage lieferte auch das SED-Blatt 'Neues Deutschland‘. Als eine der größten Errungenschaften des Sozialismus Marke DDR würdigte es die real existierende „Vielheit“ von „mehr als 200 gesellschaftlichen Organisationen, in denen sich ein vielfältiges, interessantes Leben abspielt“. Namentlich würdigte der Schreiber „Briefmarkensammler, Hundehalter, Bücherfreunde, Rosenfreunde“. Diejenigen, die Pluralismus verlangten, wollten nur eines: „Die Konterrevolution soll freie Bahn gewinnen. Wohin die Reise gehen soll, ist klar: zurück in den Kapitalismus. Darum geht es den Vielheitsaposteln. Doch ebenso klar ist: daraus wird hierzulande natürlich nichts.“

Knud Rasmussen

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