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Erster grüner Bürgermeister der Republik tritt ab

Klaus Wolf, grünes Stadtoberhaupt in der Chemiemetropole Leverkusen, will „was anderes machen“ / Fünf Jahre rot-grüner Zusammenarbeit ohne Schlagzeilen / Die „Basis“ agierte mittels Bürgerinitiativen gegen ökologische Umbaupolitik  ■  Aus Leverkusen Walter Jakobs

Im Büro der Remscheider Grünen wird es etwas unruhig. „Hört sich ja gut an, aber das schaffen wir nie“, und: „Das ist völlig utopisch für uns“ - so lauten einige der Zwischenrufe, die Klaus Wolf, seit fünf Jahren Bürgermeister in Leverkusen, von den etwa ein Dutzend grünen Kommunalpolitikern zu hören bekommt. Wolfs Auftritt am vergangenen Donnerstag in Remscheid dient einer eindeutigen Mission: Die örtlichen Grünen bitten um Nachhilfeunterricht in Sachen Rot-Grün. Der Leverkusener Parteifreund soll ihnen erklären, wie man mit der SPD erfolgreich verhandelt. Denn in Remscheid fühlen sich die Grünen von den Sozis gelinkt. Bei der OB-Wahl waren sie noch willkommen, dann suchte die SPD die Zusammenarbeit mit der CDU. Und anders?

Klaus Wolf plädiert zunächst für Klarheit: „Entweder man entscheidet sich verbindlich für eine Zusammenarbeit oder aber für die klare Opposition.“ Wolle man die Zusammenarbeit, dann dürfe man sich „nicht aufs Sachprogramm verlassen, sondern man muß gleichzeitig die Strukturen des Bündnisses und die Strukturen für die Krise mitbeschließen“. Mit dieser Strategie, zu der auch ein Berg von Personalforderungen gehörte, waren die Grünen in Leverkusen vor fünf Jahren in die Gespräche mit der SPD gegangen. Nach drei Verhandlungstagen stand das Bündnis. Klaus Wolf zog als erster Bürgermeister der Grünen in ein bundesdeutsches Rathaus ein.

Am 1. Oktober werden die Gemeinde- und Stadträte in Nordrhein-Westfalen neu gewählt. Für Wolf, im Hauptberuf Kunsterzieher, ist dann Schluß. Nach zehn Jahren im Rat will der 39jährige Bürgermeister, der Ende der siebziger Jahre von der SPD zu den Grünen stieß, „mal was anderes machen“. Nicht ausgeschlossen, daß er sich um einen Listenplatz für den Landtag bewirbt. Seine verhaltene Bilanz: „Wenn man die Sachpositionen ansieht, hat sich's gelohnt.“

Besonders stolz ist Wolf auf das neu eingerichtete Umweltdezernat, dessen Leiter Hannes Anna auf Vorschlag der Grünen gekürt und mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet wurde. Ganz bewußt hatten die Grünen sich bei Personalfragen gegen ein Besetzungsrecht entschieden und statt dessen das Vorschlagsrecht festgeschrieben. Vorteil: Die vorgeschlagenen BewerberInnen müssen von beiden Partnern akzeptiert werden. In Leverkusen wurden die Posten bis auf einige Ausnahmen nach diesem Verfahren besetzt - mit günstigen Auswirkungen.

Zwischen der Verwaltung und der grünen Ratsfraktion herrscht laut Wolf inzwischen „ein ausgezeichnetes Klima“. Das sieht auch Brigitte von Bonin so, die, sollte es das Wahlvolk am 1. Oktober wieder so richten, als künftige Bürgermeisterin im Gespräch ist. Im Falle ihrer Wahl dürfte es zwischen Rot und Grün wohl häufiger zu vernehmlichem Streit kommen. Zwar ist von Bonin Realpolitikerin wie Wolf. Und sie weiß, „daß es für uns keine Alternative zur SPD gibt“, aber sie will eine Zusammenarbeit, die „beiden Partnern mehr Spielraum läßt“. Was kontrovers bleibe, „müsse öffentlich diskutiert werden“. Gerade die Praxis der letzten fünf Jahren der engen Abstimmung zwischen SPD und Grünen hat indes für Wolf zum Erfolg beigetragen.

Für den SPD-Oberbürgermeister Horst Henning, der zunächst der rot-grünen Ehe mit äußerster Skepsis begegnet war, wird es bei einer Neuauflage des Bündnisses im jeden Fall schwerer werden. Ohne Klaus Wolf, der selbst im SPD -Oberbürgermeisterbüro „als unumstrittene Persönlichkeit in dieser Stadt“ inzwischen geschätzt wird, wiegen die gegensätzlichen Standpunkte, wie etwa beim Wohnungsbau, noch schwerer. Derzeit wohnen in Leverkusen etwa 3.000 Menschen in Blechcontainern. Darüber, wo gebaut werden soll, herrschen scheinbar unüberwindliche Gegensätze. Die SPD will eine Siedlung in Meckhofen erweitern, die Grünen plädieren für die Verdichtung im Innenstadtbereich. Dem zusätzlichen Landschaftsverzehr wollen sie sich nachdrücklich widersetzen.

Wie auch immer der Streit ausgeht, eins ist schon heute gewiß: eine neue Bürgerinitiative gegen die Grünen. Mit dem Bürgerwillen hat die einstige Oppositionspartei in den letzten Jahren leidvolle Erfahrungen machen müssen. Während die ursprüngliche grüne Klientel, etwa bei der Zustimmung zu einer, wenn auch verkleinerten, Version der Umgehungsstraße L288 von „Verrat“ sprach, sammelten die anderen, die sich für ihren Wohnbereich eine Entlastung erhofften, 10.000 Unterschriften gegen die Ökologen. „Ihr seid doch immer für Basisdemokratie, also hört auf uns“, hieß es bei der Übergabe der Unterschriften.

Noch schlimmer kam es für die Grünen ausgerechnet bei einem „unserer größten umweltpolitischen Erfolge“, wie Wolf meint. Auf Betreiben der Grünen wird eine bebaute ehemalige Mülldeponie saniert. Weil die Gefährdungsanalyse ergeben hat, daß das Gelände unbewohnbar ist, müssen die 200 Mietwohnungen geräumt, die Häuser abgerissen und die Deponie zum Schutze des Grundwassers saniert werden. Beifall gab es dafür nicht. Im Gegenteil, die Mieter wollen bleiben. Die Grünen haben alle Bewohner gegen sich. In dem Stadtteil werden „wir ganz sicher unter 5 Prozent kommen“, sagt Bürgermeister Wolf. In Straßen, die gegen den Willen vieler Bewohner zurückgebaut wurden, erwarten die Grünen ähnliche Rückschläge. „Hätten wir die Leute per direkter Basisdemokratie entscheiden lassen, wären mindestens 50 Prozent unserer Projekte gescheitert“, glaubt Klaus Wolf. Sein Fazit: „Grüne Politik schafft neue Gegner.“ Insgesamt erwartet die Partei Stimmenverluste.

Für den Chemiemulti Bayer brachte Rot-Grün in der Stadt kaum Probleme. Zwar wurde die Ausdehnung des Firmengeländes im Stadtteil Wiesdorf gestoppt, an der täglich in den Rhein gepumpten Giftfracht vermochten die grünen Politiker mangels städtischer Zuständigkeit aber nichts zu ändern. Dreimal verhinderte der Chemieriese die Probeentnahmen für das Grundwasserkataster. Erst die Drohung mit der Polizei brachte den Erfolg. Resultat: Das von Bayer abgepumpte Grundwasser ist hoch belastet.

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