: CDU auf der Suche nach Bürgers Rechtsempfinden
■ Die Halbzeitkampagne „Verbrechensstop statt Einstellungsstop“ trifft auf Resonanz von rechts: Auftakt in Bürgerschaft und Huckelriede
„Alle 5 Minuten eine Straftat...“ steht auf dem Flugblatt mit rotem Rand ganz obenan. Und: „Wenn Sie dieses Flugblatt zu Ende gelesen haben, hat es im Lande Bremen wieder eine Straftat gegeben...“ Mit solchen Schreckensmeldungen lockt die Bremer CDU potentielle WählerInnen aufrührerisch zu Veranstaltungen zum Thema „Innere Sicherheit“: „Verbrechensstop statt Einstellungsstop“ ist die Devise der stadtweit plakatierten Kampagne, die der Bremer CDU im Parlament bereits den Vorwurf der „Republikanernähe“ einbrachte. CDU-Fraktionschef Kudella begann im Keglerheim in Huckelriede am Montag mit seinem stimmenfangenden Halbzeit-Feldzug. Und zwei Stunden bevor Kudella vor die fünfzigköpfig versammelte Volksseele trat,
stimmte ihn ein Vortrag von BKA-Chef Heinrich Boge in der Bürgerschaft mit soliden Zahlen aufs Thema ein.
Die Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik lassen sich nur mit Vorbehalt interpretieren, schickte Boge seinem Referat vorweg: Verändertes Anzeigeverhalten kann zum Beispiel zu einer statistisch nicht erfaßten Verschiebung zwischen Kriminalitätsfällen und Dunkelfeld geführt haben. (Ohne den Blick auf die anschließenden Verurteilungen lassen sich die angezeigten Fälle überdies sehr vielfältig deuten.) Und außerdem, so Boge, seien die Daten aus den Stadtstaaten mit dem Bundesdurchschnitt nur eingeschränkt vergleichbar. Diebstähle und Wohnungseinbrüche nehmen ab, referierte er vor rund 100 CDU-Mitgliedern,
Polizisten und Staatsanwälten. Betrug, Computer-und Umweltkriminalität sowie insbesondere die Rauschgiftdelikte vermehren sich dagegen in der bundesweiten wie auch in der Bremer Kriminalstatistik.
Der BKA-Chef machte auch deutlich, daß eine neue Verbrechensqualität zu beobachten ist: „Weniger in den Zahlen als in der Art der Verbrechensbegehung macht sich die organisierte Kriminalität bemerkbar, die an sich kein strafbarer Tatbestand ist.“ Von den Scheckbetrügereien bis zum Rauschgifthandel würden die Verbrechen zunehmend stabsmäßig geplant, arbeitsteilig oder konspirativ ausgeführt und zum Teil gewaltsam eine nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Monopolstel- lung angestrebt. Selbst bei den
32.000 Taschendiebstählen (laut Statistik um 75 % gestiegen) würden zunehmend Ausländer „eingeschleust und bei Großveranstaltungen eingesetzt.“
Das waren für CDU-Fraktions-Chef Kudella handfeste Aussagen. Den recht schwammigen Ausdruck „organisierte Kriminalität“ setzte er im Huckelrieder Keglerheim einfachheitshalber in „Syndikate“ um. Aus dem zustimmenden Gemurmel des „vox populi“ waren dann auch immer wieder die Worte „Mafia“ und „Camorra“ rauszuhören. „Die Syndikate sind mit modernsten Mitteln bestens ausgerüstet und der Polizei -leider - um Längen voraus“, berichtete Kudella den BürgerInnen. „Mit welchen Mitteln kann der Selbstschutz der Bevölkerung erhöht werden?“ fragte daraufhin einer.
„Genau!“ und „Jedem sein Revolver“ raunte es dann durch den Raum. Ein Feldjäger im Armyhemd bedauert: „Mein Kamerad mußte sich erschießen lassen. Unsere Sicherheitsbestimmungen erlauben Zurückschießen ja erst, wenn wir selbst schon angeschos
sen sind.“ Entrüstete Zwischenrufe unterstützen diese Klage. Nur einer murmelt protestierend was von „Lynchjustiz“, Kudella tritt unruhig von einem Bein aufs andere, Jurist Ralf Borttscheller neben ihm zieht die Stirne kraus. So hatte sich das CDU-Podium die Diskussion am rechten Rand offensichtlich nicht vorgestellt: „Nein, nein: wir wollen doch keinen Staat, in dem jeder auf jeden schießen kann. Das haben wir doch gerade erst überwunden. Wir leben doch in einem zivilisierten Rechtsstaat. Das sind Thesen, wie Republikaner sie vertreten - und die will ich auch noch nicht mal im Ansatz verteidigen“ so versuchen Borttscheller und Kudella die in Richtung Polizeistaat treibende Stimmung wieder einzufangen.
„Ich vermisse an der ganzen Veranstaltung: Daß immer mehr Polizisten zu den Republikanern überwechseln, wie können Sie mir das erklären?“, fragt eine ratlose Frau, die gerade auf einer Familienfeier solche republikanerfreundlichen Polizisten erlebt hatte. „Das sind nur Einzelfälle, die linke Medien hochspielen,“ beschwichtigt Kudella. In Bremen habe er „viele Polizeidienststellen besucht“ und mit den Beamten „lange und ausführlich“ gesprochen: „Hier finden Sie nicht einen“, beteuert Kudella aus tiefstem Herzen.
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