: GROßE UND KLEINE HOHLRÄUME
■ Steinchen an Kette gefährdet die SODA
Von meiner Frau erhielt ich zum Geburtstag eine Halskette geschenkt und nach dem üblichen Genehmigungsverfahren auch ausgehändigt. Sie besteht aus einem pflaumenkerngroßen, polierten Stein, wie man ihn am Strand findet, als Anhänger an einem dünnen Lederband. Als ich nun mit dieser Kette zum Besuch erschien, erklärte ein Beamter das für Verboten und drohte mir mit Wegnahme.
Ich schrieb also ein „Anliegen“, sprach von der gefühlsmäßigen Bedeutung des Tragens gerade dieser Kette und wies auf die Hausordnung in Punkt 4 Absatz 7 hin, die ein „dünnes Halskettchen mit Anhänger ohne Hohlraum“ ausdrücklich erlaubt, ohne das auf Gold und Edelsteine zu beschränken. Ergebnis: Die Kette ist verboten, weil ich in dem Stein „geheime Hohlräume anlegen“ könnte.
Dagegen richtete ich nun eine Beschwerde und widersprach den Sicherheitsbedenken:
„Es ist hingenommen, daß hier im Hause eine Reihe von Maßnahmen zum Schutze der SODA (Sicherheit und Ordnung der Anstalt) erforderlich sein mögen. Andererseits handelt es sich bei der SODA keineswegs um einen Selbstzweck, da dann die Gefahr bestünde, daß sie sich in perfektionistischer Manier verselbständigt und zu einem letztlich eher hysterischen Agieren ihrer Betreiber gerät. Dabei würde dann ein realitätsfremdes Wahnsystem gebildet, in dem die Vernunft auf der Strecke bleibt.
Die nun im anstehenden Fall geäußerten Befürchtungen eines 'Hohlraums‘ in einem Stein (!) mit einem Gesamtvolumen von weniger als 2,8 cm3, dessen fehlende Kontrollierbarkeit also ein Sicherheitsrisiko darstellen solle, erscheinen wahrlich grotesk, wenn man bedenkt, daß zwangsläufig jeder Gefangene einen um das hundertfach größeren Hohlraum in Gestalt der natürlichen Höhlungen seines Kopfes mit zum Besuch nehmen muß.
Um dann jegliches theoretisch erdenkliche Risiko auszuschalten, müßer Gefangene vermutlich nackt, gefesselt, geknebelt und in Narkose vorgeführt werden. Eine dünne Halskette mit einem Anhänger ohne Hohlraum könnte ihm dabei aus allgemeinen Erwägungen menschlichen Miteinanders belassen werden...
Ich bitte daher um eine dem gesunden Menschenverstand entsprechende Korrektur der Entscheidung.“
Ergebnis: die Beschwerde wurde abgewiesen, das Verbot bestätigt. Wahrlich, wir leben hier in gesicherten Verhältnissen. Offenbar muß man froh sein, daß - vorläufig noch - auf die Fesselung und Betäubung beim Besuch verzichtet wird...
Ein zweites Beispiel: Angeblich verfügt ein deutscher Mann eher über 12 Zylinder, als daß er ein Dutzend Unterhosen besäße, aber im Knast ist er da nun völlig chancenlos. Nachstehendes Schreiben wird beim Präsidenten des Hessischen Landtags unter 2361/XII-ÜJS als Petition geführt: „(...) Hiermit möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein recht niederträchtiges Problem lenken. Dabei wende ich mich an Sie, weil ich davon ausgehe, daß es auf einer landesweiten Regelung beruht, ihm also nicht anstaltsintern, sondern nur auf höherer Ebene abzuhelfen ist:
Die Rede ist davon, daß jedem Strafgefangenen nur drei Garnituren Unterwäsche und Socken zur Verfügung gestellt werden, die in wöchentlichem Tausch gereinigt und in ungeregelter Rotation wieder neu verteilt werden.
Was das bedeutet, kann wohl nur ermessen, wer es im Wortsinne am eigenen Leib erlebt - aber ohne Ihnen damit zu nahe treten zu wollen, möchte ich Sie bitten, sich vorzustellen, was es für Sie selbst hieße, wenn Sie nicht nur gezwungen wären, Ihre bei der Arbeit im Akkord oder auch im Freizeitsport gründlichst durchgeschwitzte Unterhose bis zu drei Tage lang tragen zu müssen, sondern sie dann auch noch mit anderen Mit-Gliedern Ihres Unterausschusses anonym tauschen zu dürfen, ohne daß sie wissen, an welchen delikaten Krankheiten Ihre Mitstreiter möglicherweise laborieren.
Nicht wahr, da wird Ihnen ganz unbehaglich? Und vielleicht fallen Ihnen sogar Worte wie 'unappetitlich‘ oder 'würdelos‘ ein... Aber da kann ich Sie beruhigen: die Würde des Menschen ist unantastbar.
Dagegen ist der Unterleib von Strafgefangenen wie vom Unterausschußvorsitzenden sehr wohl antastbar - nämlich von einer Vielzahl von Viren, Bakterien und Pilzen... Und ich glaube, daß Sie auch ohne große Kenntnis im Bereich des Seuchenwesens erkennen werden, daß hier vom Standpunkt der Hygiene her krankheitsfördernde Zustände herrschen.
Was nützt dem werktätigen Gefangenen die werktägliche Dusche ohne frische Unterwäsche? Was soll er tun? Unterwäsche selbst waschen, was wegen der 'Rotation‘ unbedingt kochen hieße, trotz Kochverbot in der Zelle? Mit dem Tauchsieder? Einzeln? Und wie sie dann trocknen ohne Schimmelpilzbildung in den als Trockenraum ungeeigneten Zellen? Oder auf dem grauen Anstaltsmarkt zusätzliche Wäsche 'organisieren‘? Mit dem Risiko der Hausstrafe und dem Bermuda-Dreieck-Effekt in Form massenhaften Wäscheschwunds? Würden Sie alles nicht gut finden? Ich auch nicht.
Wie wär's dann zum Beispiel mit einer werktäglichen Tauschmöglichkeit nach dem Duschen oder schlicht der bedarfsdeckenden Ausgabe von sieben Garnituren pro Woche...
Ich hoffe, hiermit in Ihnen ein Gefühl von Handlungsbedarf erweckt zu haben, das nicht von einem kurzen Gedanken an den strapazierten Landeshaushalt schon wieder erlöschen möge.“
Bis heute - nach einem Viertel Jahr blieb es dabei. Vielleicht helfen ja ergänzende Petitionen oder eine bundesweite Unterwäschesammlung zu Händen der Verantwortlichen? Man sollte ja nie die Hoffnung verlieren, schon gar nicht im Knast.
R.W., Kassel
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