„Es geht um Macht, nicht um Moral“

Peter Schier arbeitet am Institut für Asienkunde in Hamburg / Er erklärt, warum Prinz Sihanouk die Roten Khmer an einer künftigen Regierung beteiligen will / Bei einem Kompromiß müssen beide Seite ihr Gesicht wahren können  ■ I N T E R V I E W

taz: Prinz Sihanouk, der es bislang noch immer verstand, die internationale Presse für sich einzunehmen, hat bei der gescheiterten Pariser Kambodscha-Konferenz im August viele Sympathien verloren. Wie erklären Sie sich das?

Peter Schier: Der Prinz wird immer wieder falsch verstanden, aber das ist primär ein Problem der Journalisten. Außerdem sind es die beteiligten Staaten wohl zunehmend leid, sich mit der Kambodscha-Problematik zu befassen. Eine Reihe von Staaten hatte gehofft, daß Sihanouk mit Hun Sen eine Koalition eingehen würde. als das in Paris nicht zustande kam, waren viele enttäuscht. Doch das war nicht die Schuld des Prinzen. Tatsächlich fehlt es an Kompromißbereitschaft in Peking, das die Roten Khmer unterstützt, und Hanoi, das der Regierung in Phnom Penh Rückhalt gibt.

Phnom Penh hat es ja immer abgelehnt, die Roten Khmer an einer künftigen Regierung zu beteiligen. Welche Zugeständnisse hätte die kambodschanische Regierung in Paris machen sollen?

Sie hat zwar eine ganze Reihe von Verfassungsänderungen durchgesetzt, die sogar eine partiell privatwirtschaftliche Entwicklung ermöglichen. Doch versäumt wurde, Artikel vier der Verfassung zu ändern, wonach die Revolutionäre Volkspartei, das heißt die Kommunistische Partei von Hun Sen und Heng Samrin, die führende politische Kraft des Landes ist. Unter einer sozialistischen Einparteienherrschaft will Sihanouk nicht als Gallionsfugur fungieren.

Hat Hun Sen nicht vorgeschlagen, freie Wahlen unter internationaler Beobachtung durchzuführen, sobald sich Sihanouk eindeutig von den Roten Khmer distanziert?

Dieser Vorschlag widerspricht immer noch diesem Artikel vier der Verfassung. Wie kann es denn freie Wahlen in einem Einparteiensystem geben? Der springende Punkt sind nicht die Roten Khmer, es ist die Frage der Machtteilung. Zweifelsohne können viele Leute im Land Sihanouks Kooperation mit den Roten Khmer nicht verstehen. Meines Erachtens instrumentalisiert aber Sihanouk die Roten Khmer - ein politisches Bündnis ist nach dem, was ihm unter den Roten Khmer widerfahren ist, undenkbar. Man darf auch nicht vergessen, daß gewisse Teile im Phnom Penher Regime zumindest in einer bestimmten historischen Epoche auch nicht besser gewesen sind. Die führenden Leute sind bis 1977/78 bei den Roten Khmer gewesen und haben mit großer Wahrscheinlichkeit an der Völkermord-Politik der Jahre 75 bis 77 mitgewirkt.

Warum setzt Sihanouk nicht auf die notwendige ökonomische Öffnung Indochinas, die Annäherung zwischen Hun Sen und dem thailändischen Ministerpräsidenten hat doch schon gute Fortschritte gemacht?

Die Ereignisse in Peking haben ja recht deutlich gezeigt, daß eine ökonomische Öffnung und Modernisierung nicht zwingend eine Entwicklung hin zu einem liberalen Rechtsstaat und mehr Demokratie einleiten.

Vietnam hat sich aber bislang nicht an Peking, sondern an Moskau ausgerichtet.

Allerdings nicht an Glasnost und Perestroika. Die jüngsten Erklärungen des vietnamesischen Parteichefs zur Frage politischer Reformen lesen sich wie Verlautbarungen aus 'Neues Deutschland‘.

Ein Vorwurf, den man ebenso an die Roten Khmer richten könnte, und da hat Sihanouk keine Skrupel zu kooperieren. Gegenwärtig sucht Sihanouk aber Unterstützung nicht nur in China, sondern auch bei den Vereinigten Staaten. Rückt er damit nicht von seinem Prinzip der Ungebundenheit ab?

Das Spektrum reicht von Nordkorea und China über Frankreich zu den Vereinigten Staaten und den ASEAN-Staaten. Seit Anfang der fünfziger Jahre ist er aufgrund der prekären geographischen Lage immer für eine Politik der Neutralität zwischen den Mächtigen der Region eingetreten. Jedesmal wenn es in der Geschichte eine einseitige Außenpolitik Kambodschas gegeben hat, kam es zum Konflikt mit dem jeweilig benachteiligten Nachbarn. Solange Kambodscha im vietnamesischen Fahrwasser schwimmt, wird dieser Konflikt nicht beendet werden.

Haben die Vietnamesen ihre Truppen tatsächlich abgezogen?

Ohne internationale Überwachung läßt sich das nicht überprüfen, aber ganz offensichtlich ist die Regierung in Phnom Penh der Ansicht, daß sie es auch alleine packen kann. Sollten die Vietnamesen alle ihre Truppen zurückgezogen haben, dann nur weil sie sicher sind, daß die Regierung in Phnom Penh auch ohne vietnamesische Hilfe politisch und militärisch überleben kann.

Trifft es zu, daß die Roten Khmer von der wachsenden Diskrepanz zwischen Land- und Stadtbevölkerung profitieren und ihre Anhänger unter der vernachlässigten Landbevölkerung rekrutieren?

Die Roten Khmer sind zwar mit Hilfe vietnamesischer Truppen, chinesischer Hilfe wie auch mit der Popularität von Sihanouk an die Macht gekommen, aber sie fanden auch Zulauf bei der armen Landbevölkerung in regional ohnehin benachteiligten Gebieten. Diese Bevölkerungsgruppen haben, mit Ausnahme des Verbots des Buddhismus, unter den Roten Khmer nicht gelitten - eher profitiert. Hinzu kommt die vietnamesische Besiedlungspolitik, die eher den Roten Khmer in die Hände spielte. Deren Massenbasis bewegt sich sicherlich zwischen fünf und zehn Prozent. Je länger man sich mit dem Land beschäftigt, desto mehr Skrupel hat man allerdings, überhaupt eine solche Schätzung abzugeben.

Sehen Sie in absehbarer Zeit eine Lösung des Konflikts?

Es kommt jetzt darauf an, einen Kompromiß zu finden, bei dem alle Seiten ihr Gesicht wahren können. Die Vietnamesen verlangen, die Roten Khmer gänzlich auszuschließen. Ich bezweifle, daß man dies den Chinesen abverlangen kann. Es geht hier leider nicht um Moral, sondern um Macht und Einfluß. Daß die Vietnamesen und die Regierung in Phnom Penh trotzdem diese Maximalforderung stellen, besagt nur, daß eine Konfliktlösung nicht allzu nahe ist. Zunächst stehen verstärkte Kampfhandlungen an, der Widerstand wird allerdings nicht stark genug sein, das Regime in Phnom Penh ernsthaft zu gefährden. Und sollte dies der Fall sein, wäre Vietnam mit brüderlicher Hilfe zur Stelle.

Interview: Simone Lenz