: Bonner Koalition blockiert Berlin
■ Forschungsförderung soll gestoppt werden / Bonner Regierungsparteien begründen den spektakulären Schritt mit „diffuser Lage der Forschung in Berlin“
Schwarz-Gelb schießt gegen Rot-Grün: Mit einer Blockade der Forschungsförderung für Berlin eröffneten CDU/CSU und FDP gestern verfrüht den Bundestagswahlkampf 1990.
Anders ist die Aufforderung der christ-liberalen Mehrheit im Forschungsausschuß des Bundestages nicht zu verstehen: CDU/CSU und FDP beantragten, Forschungsprojekte in Berlin wegen der „durch den rot-grünen Senat hervorgerufenen diffusen Lage der Forschung“ vorerst nicht mehr zu fördern. Gleichzeitig wurde Bundesforschungsminister Riesenhuber ersucht, einen umfassenden Bericht über die Forschungssituation in Berlin vorzulegen.
Der Regierende Momper und Forschungssenatorin Riedmüller reagierten mit Empörung. Die Senatorin sprach von einer „Diffamierungskampagne“. Momper forderte die Koalitionschefs Kohl und Lambsdorff auf, die „parteipolitisch motivierten Angriffe“ zu stoppen. In einem Brief an den Kanzler bittet er um ein „unverzügliches Gespräch“. Um die Blockade -Forderung der Koalition kam es im Forschungsausschuß zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Grünen sprachen von „politischer Erpressung“, die SPD von „Boykott“.
Ziel der Blockade aus Bonn sind forschungspolitische Kurskorrekturen von Rot-Grün, die CDU und FDP nicht in den Kram passen. Dabei geht es insbesondere um die Auflösung der der konservativ-elitären „Akademie der Wissenschaften zu Berlin“ sowie die noch ausstehende Genehmigung des Forschungsreaktors am Hahn-Meitner-Institut (HMI). Die Akademie, ein Renommierprojekt des Diepgen-Senats, in dem 31 honorige Wissenschaftler auf Lebenszeit industrienah forschen sollten, ist inzwischen nach Hessen umgezogen.
Der HMI-Forschungsreaktor, der wahrscheinlich Mitte 1990 genehmigt wird, stach bisher durch seine Mängel hervor: Er ist weder gegen Flugzeugabstürze gesichert, noch mit einem ausreichenden Kühlsystem ausgestattet, offen ist auch noch die Entsorgungsfrage. Bereits am Freitag hatte die CDU/CSU -Fraktion die rot-grüne Forschungspolitik als „abstrus“ bezeichnet und neben den genannten Punkten auch anderes angemahnt: der Neubau des Computer-Instituts „Konrad-Zuse -Zentrum“ sei gefährdet, ebenso der Ausbau des Berliner Elektronensynchrotons „Bessy“ und der Magnetbahn. Außerdem habe der neue Senat die Finanzierung der „Dahlemer Konferenzen“, einer überregionalen Wissenschaftstagung, abgelehnt. Wegen des eingeführten Kriteriums „ökologischer Nutzen“, neuen Ethik-Kommissionen und alternativen Forschungsthemen müsse „die bisherige großzügige Forschungsunterstützung“ infrage gestellt werden. Der Sprecher der Wissenschaftssenatorin, Dieter Jirmann, wies die Bonner Anwürfe rundum zurück: „Da werden günstigenfalls Tatsachen verdreht und schlimmstenfalls wird gelogen.“
Das Zuse-Zentrum und Forschungsreaktor seien nicht infrage gestellt, die Dahlem-Konferenzen würden vom Senat finanziert. AL-Sprecherin Hilde Schramm bewertete die Entscheidung des Forschungsausschusses als „Erpressungsversuch“, CDU und FDP seien „denkbar ungeeignet, dem Land Berlin Nachhilfe zu erteilen“. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Staffelt, sagte, daß Bonn mit dem Beschluß „Berlin schaden wolle“.
kotte
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