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Wenn der Briefträger Kaffee ernten geht...

Auch die Contra-Führung steht im Telefonbuch von Managua  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Jedes Jahr kommen sie wieder, die Leute von der Post- und Telefonverwaltung, lassen sich meinen Namen buchstabieren und fragen, ob ich ins neue Telefonbuch aufgenommen werden möchte. Manchmal kassieren sie auch eine Gebühr dafür. Das neue Telefonbuch ist allerdings noch immer nicht da. Mein altes ist im Laufe der Zeit so dünn geworden, daß es jetzt bei Barahona anfängt und im Branchenverzeichnis bei Teatro Silva endet. Aber das spielt keine große Rolle - es stimmt sowieso fast nichts mehr. So enthält der abgegriffene Band noch die Nummer vom „Bambu„-Nachtklub, der vor vier Jahren abgebrannt ist.

Und sogar Adolfo Calero, der seinen Wohnsitz schon 1982 nach Miami verlegt hat und im Direktorium der Contra sitzt, steht noch drin. Doch was soll's? Der Mensch kann auch ohne Telefonbuch leben, zumal es manchmal ohnehin einfacher ist, persönlich zu erscheinen. Nämlich dann, wenn man einen ganzen Vormittag damit zubringt, sich um eine Freileitung zu bemühen, und wenn man endlich durchkommt, ist mit Sicherheit besetzt. Ganz schwierig ist es bei Auslandsgesprächen, die müssen nämlich über die Zentrale vermittelt werden. Deswegen empfehlen sich für Ferngespräche die tiefen Nachtstunden.

Als ich nach Nicaragua kam, konnte man noch direkt wählen. Aber nach fünf Jahren Revolution hat sich das geändert. Schuld seien nicht technische Probleme, sondern die Beamten, habe ich mir sagen lassen. Die hätten nämlich unkontrolliert vom Büro mit den Verwandten in den USA telefoniert - auf Staatskosten.

Der neue Mensch, der solchen Versuchungen widerstehen könnte, ist halt noch immer nicht geschaffen worden. Auch mit dem Begleichen ihrer Rechnungen nehmen es viele nicht so genau. Zumal es sich bei fünfstelligen Inflationsraten allemal lohnt, ein paar Monate zu warten. Die Post- und Telefonverwaltung „Telcor“ rächt sich dann mit großen Vergeltungsaktionen und stellt erbarmungslos allen Säumigen die Leitung ab. Dabei erwischt es jedesmal mindestens genauso viele Unschuldige, deren letzte Zahlungen vom Computer noch nicht registriert wurden. Das schlimmste ist nicht die Strafgebühr, die man für den Wiederanschluß berappen muß, sondern daß man gut und gern einen Vormittag bei tropischen Temperaturen in der Schlange verbringt, bis man dem Schalterfräulein triumphierend seine abgestempelten Zahlscheine unter die Nase halten kann.

Wenn schon das Telefon nicht geht, so könnte man doch die alte Tradition des Briefeschreibens pflegen. Das glauben zumindest naive Europäer. Wie oft habe ich schon eine Einladung erhalten, als die Veranstaltung längst vorbei war. Leute, die Wert darauf legen, daß ihre Post den Empfänger rechtzeitig erreicht, bedienen sich eines Boten. Ministerien und diplomatische Missionen beschäftigen hauptamtliche Laufburschen. Denn es kann schon passieren, daß ein Brief von einem zum anderen Ende Managuas zwei Wochen unterwegs ist. Als ich einmal dringende Post erwartete, ließ sich der Briefträger wochenlang nicht blicken. Am zuständigen Postamt wurde mir auf meine ungeduldige Anfrage beschieden, der junge Mann habe sich zur Kaffee-Ernte gemeldet und käme in drei Monaten zurück. Die Post für seinen Zustellbezirk wurde in einem Sack solange aufbewahrt. Seither habe ich ein Postfach.

Leute, die aus Europa auf Besuch kommen, werden in der Regel mit der Frage begrüßt, wann sie denn wieder abfliegen. Denn jeder Reisende fungiert als Briefträger. Unter Ausländern, die regelmäßig Post zu verschicken haben, spricht es sich in kürzester Zeit herum, wann eine Vertrauensperson kommt oder fährt. Es wäre sträflicher Leichtsinn, etwa die Fotos zur Reportage für die taz der normalen Post anzuvertrauen. Aber für Feriengrüße kann ich Telcor wärmstens empfehlen, auch wenn die Briefe die Lieben zu Hause erst erreichen, wenn der Urlauber längst wieder zurück ist. Nicaragua produziert nämlich wunderschöne Briefmarken.

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