: ENTSORGUNGSAKROBATIK
■ Alles im Kultureimer - Ein Philosoph auf der Müllkippe
Zur modernen Welt gehört die Entwicklung des Wegwerfens zur Kunst der Umweltschonung. Am Anfang warf man sozusagen naturwüchsig weg. Heute wird kunstvoll weggeworfen: Das Weggeworfene liegt nicht mehr wahllos und überall in der Wirklichkeit herum, sondern es wird gesammelt und - als Müll - auf Deponien gebracht, die zuweilen so raffiniert angelegt werden, daß sie in der Landschaft kaum noch zu sehen sind. Weil das Weggeworfene dort konzentriert wird, wird die übrige Umwelt vor ihm bewahrt. Das Wegwerfen - dafür steht das Neuwort 'Entsorgung‘ - avanciert zur hohen Kunst der indirekten Umweltbewahrung.“
Daß es der Philosophie obliegt, noch die groteskeste herrschende Absurdität mit Sinn zu unterlegen, um so die regierende Unvernunft zu legitimieren - dies wird deutlich an den Reflexionen auf einer Müllkippe, die der Gießener Philosophieprofessor Odo Marquard dem CDU-Blättchen 'Die politische Meinung‘ beigesteuert hat. Die Charakteristik „Wegwerfgesellschaft“ ist, so Marquard, „nur die halbe Wahrheit... Die moderne Welt ist - durch eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Positivierung des Ausrangierten - zugleich eine Bewahrungsgesellschaft.“ In der Tat wird der Plastikbecher, aus dem ich gerade meinen Frühstücksjoghurt gelöffelt habe, noch etwa hundert Jahre auf den Deponien bewahrt werden müssen, das Plutonium, aus dem ich den Strom für den Toaster zapfe, wird noch in fünftausend Jahren strahlen - „so raffiniert, daß es... kaum noch zu sehen ist“ - und was das CO2 unserer Autos mit der Atmosphäre des Planeten anrichtet, ist ebenfalls nicht übermorgen erledigt. Sorgen machen über diese Gewalttätigkeit muß ich mir nicht, dafür gibt es das Neuwort „Entsorgung“ und Sinnstifter vom Schlage Marquards: „Zur modernen Welt gehört, daß das Ausrangierte und Weggeworfene nicht nur verstoßen wird, sondern zugleich Sympathie und Verehrung auf sich zieht... Je mehr etwas 'out‘ ist, desto mehr ist es 'in‘. Gerade das unbrauchbar Gewordene und fast schon Tote gewinnt höchste humane Reputation. So wird - und zwar gerade und nur in der modernen Welt - das Ausrangierte geadelt... Immer mehr Wegzuwerfendes wird gerade nicht weggeworfen, sondern gesammelt und häufig in Häuser getan, die eigens für seine Aufbewahrung und Ausstellung gebaut wurden: die Museen. Diese Bewahrungs- und Verehrungshäuser hat es vor der modernen Wegwerfgesellschaft niemals gegeben, denn erst seit der Wegwerfzwang zunimmt, entsteht - gegensteuernd - die Bewahrungskultur. Das Ausrangierte findet Zukunft im Museum: Wo Trachten und Brauchtum verschwinden, entsteht: das Heimatmuseum; wo Gewerbeformen außer Gebrauch kommen: das Gewerbemuseum; wo Völkerstämme vom Aussterben bedroht sind: das Völkerkundemuseum; wo natürliche Arten in Gefahr geraten: der Naturschutzpark...“
Und, möchte man da hinzufügen, wo man mal eben sechs Millionen Menschen ermordet hat, entsteht: der Hollywood -Film Holocaust - dies ist kein Zynismus, sondern nur die konsequente Fortsetzung von Marquards Entsorgungsstrategie, der zufolge ja alles halb so schlimm ist, denn schließlich entsteht noch aus dem brutalsten Unrat irgendwie Kultur: „Zur modernen Welt gehören Mülldeponien und Museen, denn gerade in ihr schützen sich die Menschen gegen den zunehmenden Wegwerfzwang durch die Ausbildung einer Bewahrungskultur.“ Daß sie diesen „Wegwerfzwang“ durch infantile Konsumgeilheit selbst produzieren, um sich dann durch Einrichtung von Museen davor zu schützen - solch auf der Hand liegender Schwachsinn kann dieser Philosophie im Endlager nicht entgangen sein, und doch argumentiert sie von hinten durch die Brust ins Auge: der Müll produziert Museen, wer also den Abfall kritisiert, der kann nur ein Banause sein. Wenn derlei Gedankenmüll Schule macht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Tonne im Hof Kultureimer genannt wird.
Mathias Bröckers
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