: Die Kobra ward zum Regenwurm
Borussia Dortmund - Besiktas Istanbul 2:1 (1:0) / Beim Pokalsieger geht's drunter und drüber: Möllers Psychowade, herzzerreißende Reden und Tränen im Knopfloch / Köppel bleibt ■ Aus Dortmund Ch. Biemann
Am Ende war alles Müll. Hunderte verknüllte Plastikfähnchen auf den Aufgängen zu den Tribünen, auf der einen Seite schwarz-weiß bedruckt, auf der anderen Seite rot mit türkischem Halbmond. 85 Minuten lang waren sie von den 10.000 türkischen Fans zum Teil heftig geschwenkt worden, im Rhythmus der „Hürriyet„-, „Türkiyeü- und „Besiktas„-Rufe. Dann war er hochgesprungen und hatte seinen Job gemacht; Jürgen Wegmann hatte ein Tor geschossen, den 2:1 -Siegtreffer.
In Dortmund wird er seinen markigen Spruch aus der Vorsaison schon oft bereut haben. „Ich bin giftig wie eine Kobra“, hatte er, damals noch im Dress der Bayern, verkündet. Von den Fans im Westfalenstadion erst enthusiastisch begrüßt, galt er wg. Erfolglosigkeit bald nur noch als Reptil zweiter Güte („Blindschleiche“), letztlich sogar als Wirbelloser („Regenwurm“). Seine Einwechslung wurde jedenfalls mit einem gnadenlosen Pfeifkonzert begleitet.
Da hatten sich die „nur“ 43.600 Zuschauer aber auch schon warmgepfiffen. Nach freundlichem Beginn und früher Führung begann sich Borussia im Laufe des Spiels immer mehr des Leitmotivs der letzten Wochen zu erinnern: der Krise. Nach siebzig Minuten war das Spiel dann völlig zerbröselt, und schließlich wurden die nett kombinierenden, aber völlig ungefährlichen Türken auch noch zum Ausgleich eingeladen: Mißverständnis Helmer - de Beer, plötzlich stand es 1:1, und Besiktas fehlte 14 Minuten vor Schluß nur noch ein Tor zum Erreichen der nächsten Runde. Blankes Entsetzen auf den Rängen und nackte Angst auf dem Rasen. (Habt ihr Probleme! d.S.) Am Ende flogen dann doch noch die Trikots in die frenetisch feiernde Südtribüne, während auf den teueren Plätzen manche Stirn nachdenklich in Falten gelegt wurde und ein gutgekleideter, distinguierter Herr auf einmal hochschreckte und deutlich die Worte formulierte: „Das war einfach Scheiße!“
Die Gründe für die Krise liegen im „Umfeld“. Eine Auswahl: Präsident Dr. Niebaum verkündete vor zehn Tagen, daß er seine Präsidentschaft nicht verlängern wolle. Auf der Südtribüne wurden schon Flugblätter für den Schatzmeister Werner Wirsing („Der König der Fans“) verteilt, um ihn doch zu einer Kandidatur zu bewegen. Der wenig beliebte Manager Klaus Gerster („Der schwarze Abt“) ließ nach dem Spiel in Istanbul Interna aus den Vertragsverhandlungen mit Thomas Helmer durchsickern. Der Spieler war sauer, der Präsident auch, weil Gerster vorgab, zu dieser Aktion sein Placet zu haben.
In der letzten Woche wurde der Vertrag mit Gerster gelöst, was nun wieder Spekulationen über die Zukunft von Mittelfeldwunder Andreas („Andy“) Möller entfachte. Der spielte am Tag nach der Vertragsauflösung von Gerster, seinem persönlichen Berater und Freund seit Frankfurter Zeiten, beim Bundesligaspiel in Mannheim nicht mit. Offiziell war es eine alte Wadenverletzung - es klang aber mehr nach Psychowade. Gerster würde Möller nach Italien verhökern, das schien abgemachte Sache.
Einer der entnervten Spieler hatte schon nach der 1:2 -Niederlage in Karlsruhe durchgedreht. Michael Schulz trat nach Abpfiff dem Linienrichter mit dem Fußballschuh (Achtung: Stollen runter!) auf den Fuß, wobei der gelernte Polizist auch gedroht haben soll, „ihm was auf die Fresse zu hauen“. Der 1,8 Millionen Mark Einkauf aus Kaiserslautern wird wahrscheinlich für ein halbes Jahr gesperrt. Und weil der alte Zocker Ernst Happel an der Spielbank in Dortmund gesichtet worden war, würzten einige Spekulationen um eine vorzeitige Entlassung von Trainer Horst Köppel das wunderbar übelschmeckende Gericht.
Kaum überraschend ist Borussia in der Bundesliga auf den 10. Platz abgesackt und flog am Samstag zuhause gegen Zweitligist Braunschweig aus dem Pokalwettbewerb.
Vor dem Spiel gegen Istanbul lief das Krisenmanagement auf Hochtouren. Der Vertrag mit Horst Köppel, so wurde demonstrativ verkündet, werde über das Saisonende hinaus verlängert. Und als sich die Spieler schon für das Spiel warmgemacht hatten, griff dann Andreas Möller zum Mikrofon und hielt eine herzzerreißende Ansprache in Richtung Südtribüne. „Hallo Fans! Meine Gedanken sind nur bei Borussia. Ich habe nicht und ich werde nicht um meine Freigabe bitten.“ Tosender Beifall für den schon Fast -Geschmähten und Tränen in manchem Knopfloch, daß das „ja doch ein guter Junge“ ist.
Die türkischen Fans auf der anderen Seite wedelten unbeeindruckt mit ihren Fähnchen. Solche Sachen sind für sie „business as usual“. Für Metin, den Stürmerstar von Besiktas, organisierten Fan-Clubs vor Saisonbeginn sogar einen Hungerstreik, als er sich mit Trainer Gordon Milne überworfen hatte und aus der Mannschaft geworfen worden war.
Das bietet sicherlich noch Perspektiven für die nächsten Wochen in Dortmund.
DORTMUND: de Beer - McLeod - Kutowski, Helmer - Lusch, Zorc, Möller, Rummenigge, Schulz - Driller (77. Wegmann), Mill
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