: Letzter Anlauf für die Chinasolidarität
■ Am Sonntag soll eine Großdemonstration den Niedergang der Protestbewegung stoppen / Von J. Kremb
Zweimal wird dieser Tage in der Bundeshauptstadt der vierzigste Jahrestag der Volksrepublik China begangen: Für Sonntag 15 Uhr haben die Gesellschaft für Deutsch -Chinesische Freundschaft, amnesty international, Jusos und Grüne zu einer Protestkundgebung vor der chinesischen Botschaft aufgerufen (Kontakttelefon 0228-212925). Einen Tag später feiert dann das Diplomatische Korps - ohne Kritiker. Staatssekretär Sudhoff wird die Glückwünsche der Bundesregierung überbringen.
Gespannte Stille breitete sich in dem Raum aus. Den chinesischen Studenten und ihren Freunden war die Verzweiflung in die Gesichter geschrieben. „Über kurz oder lang werden wir uns entscheiden müssen“, hatte ihr Sprecher gerade gesagt. „Entweder nehmen wir Finanzhilfe von der chinesischen Botschaft an und halten uns politisch zurück, oder unser Verband wird sich spalten.“
Die Szene beim monatlichen Aktionstreffen des Berliner Verbandes der chinesischen Studenten und Wissenschaftler in der Bundesrepublik kennzeichnet das Dilemma, in dem sie stecken. Bisher unterhielt die Organisation einen recht guten Kontakt zur chinesischen Botschaft. Jedes Jahr flossen 10.000 Mark an den Ortsverband. Damit wurden Räume angemietet, Zeitungen gekauft und Reisen veranstaltet. „Wenn das nicht mehr passiert, werden wir nur noch sehr wenige sein“, fürchtet jetzt so mancheR.
Die Solidarität der vielen Aktionsgruppen von außen hat ohnehin lange nachgelassen. Mit der versprochenen Hilfe der Behörden in den Gastländern ist es nicht weit her. Besonders in der Bundesrepublik.
„Es ist schwer, unter den jetzigen Bedingungen noch den Märtyrer spielen zu wollen“, sagt ein chinesischer Student in Berlin. „Wir müssen uns auf die Frage von offizieller Seite gefaßt machen, ob wir Konterrevolutionäre sind“, sagt er. Einmal so gebranntmarkt, hätte das für die Studenten weitreichende Folgen. Das Geringste wäre, daß ihnen die Stipendien des chinesischen Staates gestrichen würden. „Schlimmer ist die Ungewißheit, wenn wir nach Hause fahren: Knast oder nur Selbstkritik?“ Viele Eltern bitten deshalb ihre im Ausland studierenden Kinder, lieber dort zu bleiben.
Die Botschaft in Bonn hat sich zudem redlich bemüht, studentische Ängste ja nicht zu zerstreuen. Zwar hat hierzulande noch niemand, wie in den USA, eine Patrone im Briefkasten gefunden. Das läuft vorerst noch subtiler. Aus der Botschaft ist zu hören: „Wer sich nur an einer Demonstration beteiligt hat, der wird nicht bestraft. Doch wer weiterhin für die Demokratiebewegung agiert, ist ein Konterrevolutionär.“
BRD geizt mit
Aufenthaltserlaubnis
Das hat viele der chinesischen Studenten und Wissenschaftler stumm werden lassen, die noch im Juni tatkräftig an Demos teilnahmen. Besonders diejenigen, die bald mit der Heimreise rechnen müssen. Obwohl die zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft am 28.Juni beschlossen, die Aufenthaltsdauer chinesischer Stunden zu verlängern, sieht es damit in der Bundesrepublik am schlechtesten aus. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage von Petra Kelly (Die Grünen) hervor. So wird etwa in den Vereinigten Staaten den 75.000 StudentInnen aus der Volksrepublik China großzügig Aufenthalt gewährt, problemlos erhalten sie eine Arbeitserlaubnis. Ähnlich in Kanada, und auch Frankreich hatte die Dissidenten aus China mit offenen Armen empfangen. Sie wurden fast wie Staatsgäste aufgenommen. Für einige, die auf Fahndungslisten standen, organisierten französische Diplomaten offenbar sogar die Flucht.
Ganz anders in der BRD. In Bayern wird der Aufenthalt nur um drei Monate verlängert, wenn das normale Studentenvisum ausgelaufen ist, in Berlin und Nordrhein-Westfalen um ein halbes Jahr. „In Bayern heißt es schon: Fahren Sie zurück, oder stellen Sie einen Asylantrag“, berichtet ein junger Mann. Doch gerade das wollen die jungen Asiaten am wenigsten. Es würde sie aus Studium und Beruf reißen und zur Arbeitslosigkeit verdammen.
Dem 'Spiegel‘ wurde ein Telex der Bonner Botschaft in Peking zugespielt, aus dem sogar hervorgeht, daß eine Aufenthaltsverlängerung nur gewährt werden soll, wenn sie von der chinesischen Regierung bestätigt werde. Andernfalls „könnte dies eine Weiterführung der Stipendienprogramme erheblich gefährden, wenn nicht gar unmöglich machen“. Im Auswärtigen Amt will man auf Anfrage der taz diese Information „weder bestätigen noch dementieren“ - das tue man mit Zitaten aus internem Schriftverkehr grundsätzlich nicht.
Solidarität scheitert
am Lautsprecherwagen
Dasselbe Trauerspiel auch bei Solidaritätsaktionen bundesdeutscher Gruppen, Parteien und Verbände. Die haben mitunter nicht mal die ersten Wochen nach dem Massaker überstanden. In Berlin etwa wurde den Chinesen von den Asten der beiden Universitäten bald bekundet, es gebe „auch andere politische Aufgaben“. Schon wenige Wochen nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung scheiterte in der Mauerstadt die Solidarität der deutschen Kommilitonen an der Bereitstellung eines Lautsprecherwagens. Doch auch die großen Parteien, die laut nach Sanktionen schrien, lassen es an praktischer Hilfe fehlen.
Einzige Protestaktion, die gegenwärtig noch zustande kommt, sind tägliche Mahnwachen vor der chinesischen Botschaft in Bonn. Getragen werden die meisten Aktionen von Privatpersonen und Verbänden, die ohnehin früher schon an China interessiert waren, sich kritisch oder unkritisch mit diesem Land beschäftigten: Sinologen, Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft (GDCF), Freundschaftsgesellschaft und den Betroffenen - sehr selten nur noch von Politikern. „Wer interessiert sich - bei den Veränderungen in Osteuropa - schon noch dafür, daß in China noch täglich Todesurteile vollstreckt werden“, fragt ein junger Chinese resigniert.
Die zum 40jährigen Bestehen der Volksrepublik China für den 1. Oktober geplante Großkundgebung in Bonn scheint nur noch eine kleinere Versammlung zu werden. „Es ist schon frustrierend“, sagt Dorothea Kösterkamp, die im Auftrag von Jusos und Grünen die Veranstaltung vorbereitet, „erst haben die meisten bekannten Musikgruppen abgesagt, weil es nicht in ihre Terminplanung paßte, dann stornierte auch BAP die Zusage.“ Schließlich habe sich auch der RCDS als ursprünglicher Mitveranstalter mangels Interesse verabschiedet. Jetzt ist für den Tag lediglich noch eine Kundgebung vor der chinesischen Botschaft in Bonn vorgesehen. Zur anschließenden Podiumsdiskussion und einem Rockkonzert soll es dann in die Godesberger Stadthalle gehen. Daß die noch voll wird, bezweifeln mittlerweile nicht wenige.
„Die Organisation der chinesischen Studenten im Ausland hat sich mittlerweile schon in drei Fraktionen gespalten“, berichtet ein Insider. Ganz so schwarz sieht es Li Bo nicht. Der Vorsitzende des Dachverbandes der chinesischen Studenten und Wissenschaftler hält seine Organisation noch für die „geschlossenste“ unter den Dissidentenverbänden, die von Volkschinesen während der letzten Monate in Hongkong, den Vereinigten Staaten und Europa gegründet wurden. Aber auch er gibt zu: „Die meisten Studenten sind theoretisch unerfahren. Bis eine schlagkräftige Organisation aufgebaut ist, kann es noch Jahre dauern.“
„Wichtig ist es erst mal, eine politische Kultur im Exil aufzubauen“, sagt der 22jährige. „Wir fordern ja auch nicht: Nieder mit der KP China. - Was wir wollen, ist ein Mehrparteiensystem in China - und das ohne Gewaltanwendung.“ Doch da scheiden sich schon die Geister. Einige aus dem Dachverband sehen dabei durchaus die Möglichkeit, mit der chinesischen KP zusammenzuarbeiten - in der Hoffnung, damit deren Reformfraktion zu stärken. Viele andere sagen jedoch: „Nichts geht mehr mit diesem Regime, das unsere Freunde ermordet hat.“
Der chinesische Lyriker Bei Dao, selbst nur knapp dem Massaker und der Verfolgung entkommen, zog bei einem Vortrag in der BRD seine Schlüsse aus der Uneinigkeit. „Die Brutalität der Politik in China und die Feigheit der chinesischen Intellektuellen bedingen einander - das Bewußtsein der Nation setzt das Bewußtsein des einzelnen voraus.“
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