: Will Justizsenatorin Zivildienst für Berliner?
■ Justizsenatorin begründet Votum für Abschiebung des Totalverweigerers Scherer damit, daß er anerkannter Kriegsdienstverweigerer sei
Erheblichen Wirbel hat eine Erklärung von Justizsenatorin Jutta Limbach bezüglich der drohenden Abschiebung des Totalverweigerers Gerhard Scherer verursacht. In dem Schreiben, das an die AL-Fraktion gerichtet ist, begründet Limbach ihr Votum für eine Abschiebung Scherers damit, daß diese Maßnahme nicht der Zuführung zum Militärdienst diene. Begründung: Scherer sei anerkannter Kriegsdienstverweigerer. Somit hat Limbach erstmals in der Justizgeschichte Berlins einen Unterschied zwischen dem sogenannten Militärdienst und dem Ersatzdienst formuliert. Beide Sachverhalte wurden bisher rechtlich und politisch äquivalent behandelt. Eine Differenzierung in bezug auf die alliierte Rechtsprechung hätte in seiner Konsequenz bedeutende Auswirkungen auf den entmilitarisierten Status in Berlin. Einer Einführung des Zivildienstes für männliche Berliner stünde jedoch laut Definition der Justizsenatorin nichts im Wege, da der Ersatzdienst ihrer Ansicht nach nicht mit dem Militärdienst gleichzusetzen ist. „Mit der Angelegenheit hat sich im Justizsenat bestimmt jemand beschäftigt, ohne sich auszukennen, und Frau Limbach hat das einfach unterschrieben“, vermutet Scherers Rechtsanwalt Udo Grönheit.
Weiter begründet Limbach ihre Bereitschaft, den Totalverweigerer abzuschieben, damit, daß Scherer, „quasi mit der Pflicht zur Ableistung des vollständigen Zivildienstes behaftet“, Bürger Berlins geworden sei. Der Grund: Er habe seinen Einberufungsbescheid zur Ableistung des Zivildienstes noch vor seinem Zuzug nach Berlin erhalten. Rechtsanwalt Grönheit hält auch dieses Argument nicht für plausibel. Berliner mit diesem Status gebe es Zehntausende in Berlin. „Nicht der Erhalt einer Einberufung ist dafür Ursache, sondern bereits die Wehrerfassung“, so seine Begründung. Scherer hatte nach neun Monaten seinen Zivildienst aus Gewissensgründen abgebrochen. Weil er in Berlin eine Stellung als Musiklehrer bekam, war er im April 1987 an die Spree gezogen. Wegen Dienstflucht hatte ihn das Landgericht Rottweil unterdessen zu fünf Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.
Völlig außer acht läßt die Justizsenatorin in ihrer Begründung, daß Scherers Einberufung zum Zivildienst schon seit zwei Jahren hinfällig ist. Würde der Totalverweigerer in die Bundesrepublik abgeschoben, müßte er nach Antritt seiner Haftstrafe jedoch mit einem neuen Einberufungsbefehl rechnen. Wie Rechtsanwalt Grönheit gegenüber der taz erklärte, erhalte Scherer auch als Westberliner einen Einberufungsbescheid, weil er sich zwangsweise im Knast über längere Zeit in der Bundesrepublik aufhalten müßte. Resultat: Scherer würde sich als Totalverweigerer wiederum straffällig machen und erneut verurteilt werden. Noch bis zum 3. Oktober hat Scherer Zeit, sich freiwillig bei den Justizbehörden in Rottweil zwecks Strafantritt zu melden. Kommt er dem nicht nach - was wahrscheinlich ist -, werde, so sein Rechtsanwalt, höchstwahrscheinlich ein Vollstreckungshaftbefehl an den Berliner Justizsenat weitergeleitet. „Nach der Haltung von Frau Limbach zu urteilen, kann es dann schon bald zur Abschiebung Scherers kommen“, so Grönheit.
cb
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