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Swinging Metropolis

■ 46. Ein neues Lied

Wie immer: die Jugend sucht neue Ideale; nach dem Ersten Weltkrieg schielt sie übern Teich, distanziert sich von der Generation, die „noch Reiterdenkmale errichtet (hatte), indes sie schon Auto fuhr. Sie hatte das Schwert zu ihrer Linken besungen, während sie das Giftgas zu ihrer Rechten erfand“ (Neue Rundschau, 1930). Brecht spricht von Deutschland als „Blondes, Bleiches“ und als „Aasloch Europas“, aber „in der Jugend, die du / Nicht verdorben hast, / Erwacht Amerika“.

Das Ideal des jungen Künstlers ist ein „amerikanisiertes Aussehen (...), bartlos mit scharfem Profil, schmalem, stählernem Körper“, wie die Vossische Zeitung 1925 schreibt, ohne dabei an Langnese-Jünglinge mit Surfbrett vorm Kopp zu denken. George Grosz, der einerseits die kapitalistischen Großstadtübel aufs Drastischste anprangert, schwärmt noch Mitte der Dreißiger - als New York seine neue Heimat ist - Wieland Herzfelde gegenüber (den er flott „Wiz“ nennt): „Vergleiche ich mit Europa oder Rußland, so fällt mein Urteil zugunsten von Amerika aus. Es ist ein wunderbares Land, Wiz...grob gesagt ists: diese neue, kindliche, brutale, lachende Art, die das gesamte Leben hier zeigt.“

1918 pinselt er die Manhattan Skyline an seine Berliner Atelierwand und veröffentlicht in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung den turbulenten, wilden und letztlich programmatischen „Gesang an die Welt“:

„Ach knallige Welt, du Lunapark, / Du seliges Abnormitätenkabinett, / Paß auf! Hier kommt Grosz, / Der traurigste Mensch in Europa, / 'Ein Phänomen an Trauer‘. / Steifen Hut im Genick, / Kein schlapper Hund!!!! / Niggersongs im Schädel, / Bunt wie Hyazinthenfelder, / Oder turbulente D-Züge, / Über rasselnde Brücken knatternd - / Ragtimetänzer, / Am Staketenzaun wartend mit der Menge / Auf Rob E.Lee. //

Horido! / Beim Bart des Oberlehrers Wotan - / Nachmittags verbrämte Kloaken, / Überpinselte Fäulnis, / Parfürmierter Gestank - / Grosz wittert's. / Parbleu! Hier riecht's nach gebratenen Kindern. / Sammelt euch, boys!!!!!!!!!! / Ankurbelt den Benz-150km (KA-EM)! / Die Straßenbänder bergab! / Knall auf den Motor! / Auch dich ekelt der kalte Schweiß / In Lümmelgesicht!//

Turbulenz der Welt! / Liebe Freunde! - ahoi! / seid gegrüßt, boys, über den Atlantic! / Du I.W. Hurban, du Lewis, du Abraham, / Du Theo F. Morse / Und du Lillian Elmore. / Den Urwald zogt ihr auf Noten / Mit eurer Banjo -Musik der Neuen Welt. / Starr hochwachsende Turmhäuser. / Frei das Auge. / Glattrasiert und breit.//

Den Hudson abwärts gleitet das Hausboot - / Und dunkle Nächte und die / Schwarzbehaupteten Nigger!“

Wenn das kein Loblied ist! All die hingeknallten Assoziationen laufen auf eine Gegenüberstellung des freien, lässigen Amerikaners, Identifikationsfigur für Grosz, mit der „überpinselten Fäulnis“ deutscher Gegenwart hinaus. Weiter erläutert der Literaturwissenschaftler und kulturhistorische Autor Hans Dieter Schäfer: „Neben der Teilnahme am technischen Fortschritt ('Ankurbelt den Benz‘) steht ein Bekenntnis zur Negerkultur, die in den USA das Urtümliche mit dem Neuen zu verschmelzen schien; die 'schwarzbehaupteten Nigger‘ ertrotzten gegen den reaktionären Südstaaten-General Lee Freiheit und brachten selbstbewußt ihre Banjo-Musik in 'hochwachsende Turmhäuser‘ ein. Die 'boys über dem Atlantic‘ sind wie I.W. Hurban Theo F. Morse ohne Rang, aber sie werden in einem Atemzug mit (Sinclair) Lewis und Abraham (Lincoln) genannt; daß die Reihung mit der Filmschauspielerin Lillian Elmore endet, weist auf das Nebeneinander von Kultur und Amüsierbetrieb hin, das Grosz der falschen Ehrfurcht des 'Spießers‘ vorzog.“

Es gibt ein Skizzenbuch des Ex-Dadaisten Georg Ehrenfried Grosz, datiert auf den 26.Juni 1932, also die Zeit seines ersten US-Aufenthaltes. Und ist sich die Kunstwelt einig, daß er nach seiner Emigration an Bedeutung verliert, seine Zeichnungen nicht mehr überzeugen, so belegt besagtes Büchlein doch immerhin seine Begeisterung, positiven Striches, wie man ihn kaum kennt vom scharfen Bürgerfresser. Ein aufschlußreiches Dokument, versehen mit erhellendem Kommentar von Karl Riha, aus dem auch alle Abbildungen hier stammen: George Grosz, „New York“, Machwerk Verlag, Siegen.

Norbert Tefelski

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