Wie die Kultur zurück zu Quelle geht

■ Immer wieder erregend: Was wird aus dem neuen Filmförderungsmodell

Worum geht's hier eigentlich: Berlin-Selbstdarstellung, Partei-Profilierung, glücklose Bastler gegen Profit -Filmemacher, untenrum und obenrum, nämlich Kultur gegen Kommerz, Kreativität gegen Amtsschimmel, das Neue gegen das Alte, das Bessere gegen das Bewährte. Kurzum: um Kohle, viel Kohle - nämlich 23 Millionen Mark. Also ein Dschungel, ausgelegt mit Geldscheinen, von denen jeder möglichst viele an seine eigenen Stiefel kleben will. Aber Vorsicht: Wer auf diesem Terrain kein Experte ist, der ist von vornherein verloren, und deshalb kamen auch nur „Experten“ zu dem von der Senatorin für Kulturelle Angelegenheiten veranstalteten Hearing in der Akademie der Künste.

23 Millionen Mark sind kein Pappenstiel. So hoch ist der Etatansatz 1990 für die Filmförderung in Berlin, knapp zwei Millionen Mark mehr, als es noch dieses Jahr gab. Weniger greifbar als die Summe von 23 Millionen Mark, die sich aus verschiedenen Haushaltspöstchen zusammenaddiert, und die auch nicht bar auf dem Tisch liegen, sind allerdings die Richtlinien für die Durchführung des Berliner Filmförderungsprogramms, wie es im Amtsblatt steht und im Klartext nichts anderes heißt: Wer fördert was wie?

Klar ist nur, daß die im Moment geltenden Richtlinien aus dem Jahr 1987 geändert werden sollen, ja müssen, denn 1991 würden sie sowieso ungültig. Die Senatorin will ein Zeichen des neuen Kulturverständnisses setzen und an der Basis - bei den Jung-, Klein- und Schmuddel-Filmern sowie der AL rumort es. Sie erfanden das Schlagwort von der Kulturellen Filmförderung, das seit Anfang des Jahres durch alle Debatten geistert, wobei bislang niemand endgültig klären konnte, was für Filme man sich denn vorstellt. Jedenfalls sollen sie kulturell gefördert werden, fordert das Plenum der Berliner Filmschaffenden, das schon im Juli mit einem Richtlinien-Entwurf zu ebendieser Kulturellen Filmförderung an die Öffentlichkeit trat, unterstützt von der AL, die sich politisch flankierend die Kulturelle Filmförderung zur Brust nahm. Dabei wies sie den Vorwurf der großen Liebe zur schnelleren kulturpolitischen Profilierung energisch zurück.

In ihrem Entwurf fordern Filmschaffende und AL fünf Millionen Mark, die als Drei-Säulen-Modell für Filmproduktion, -vertrieb und -förderung der Abspielstätten vergeben werden sollen: Für kleine Filmprojekte bis 30.000 Mark oder bis 100.000 Mark als Zuschuß für größere Projekte bis 1,5 Millionen Mark mit bis zu 450.000 Mark als Darlehen. Bei den Filmprojekten sollen auch drehbuchvorbereitende Maßnahmen finanziert werden. Mittels Vertriebs- und Verleihförderung können für die so entstandenen Filme auch Plakate gedruckt werden, und Kinos sollen Kredite bekommen, um sich auf den letzten Stand der Technik zu katapultieren. Der Clou des Vorschlages ist aber, daß sie diese fünf Millionen Mark in Selbstverwaltung vergeben wollen, mit unterschiedlichen und wechselnden Gremien, das heißt Unabhängigkeit von der Senatsverwaltung und dem Filmbeauftragten Robert Eisenhauer, der sich bislang überhaupt nicht um ihre Probleme gekümmert habe.

Eine Reaktion auf ihre Forderung nach einer Kulturellen Filmförderung ließ auf sich warten. Die SPD-Fraktion wollte erstmal wissen, wie denn die Gesamtsituation der Filmförderung in Berlin aussehe, die Senatorin wollte in blumigen Absichtserklärungen das Kulturelle verstärken, ohne das Europäische aus dem Blickfeld zu verlieren, und Experte Eisenhauer rechtfertigte sich, daß schon bislang mehr kulturell hochstehende Filme als kommerzielle Erfolge gefördert worden seien. Allerdings habe er auch den Unmut an den bestehenden Richtlinien mitbekommen, und man könne über alles reden.

Deshalb also jetzt das Hearing, und es wird höchste Zeit, sollen die neuen Richtlinien bis zum Januar 1990 in Kraft treten. Vor Kopf im Clubsaal saßen Anke Martiny, Robert Eisenhauer sowie die Banker der FKT (Filmkredit-Treuhand), die bislang wesentlich an der Mittelvergabe mitwirkten: Sie waren gekommen, um zu hören, was denn die Filmarbeiter jeglicher Couleur gern hätten. Außerdem sollte über die Filmförder-Modelle in Hamburg und Nordrhein-Westfalen referiert werden, die momentan als cineastische Vorbildländer gelten.

Allerdings kam die Spitze der Verwaltung nicht mit leeren Händen, sondern präsentierte ein Papier, wie sich ihr Haus die neue Filmförderung vorstelle. Also nur eine Alibi -Veranstaltung, und alles ist schon beschlossene Sache? Keineswegs, so der Senat, denn man sei allen Anregungen durchaus aufgeschlossen.

Und die kamen dann - erst zaghaft, dann immer heftiger. Wobei schnell klar wurde, daß es bei den Berliner Filmern zwei große Fraktionen gibt: Auf der einen Seite diejenigen, die es schlecht oder recht geschafft haben, sich zu etablieren, und auf der anderen Seite die jungen und mittellosen Rebellen. Und sie beherrschten die Diskussion: Egal, um welche Frage es ging, sie ließen keine Gelegenheit aus, ihre Kulturelle Filmförderung in Selbstverwaltung zu pushen. Sie wollen das duale System, das heißt, eine Kulturelle Filmförderung, unabhängig von der „Wirtschafts -Filmförderung“. Denn nur so lasse sich der „kulturelle Aspekt unterstreichen“ (Christian Ziewer) und verhindern, daß am Ende „der Förderungskatalog aussieht wie ein Quelle -Katalog“ (Steff Ulbrich). Jawohl, assistierte die AL, die starren Filmtypen hätten sich überlebt, und bestimmte Filmformen müßten unter besonderen Schutz gestellt werden. Großproduzentinnen wie Regina Ziegler interessieren solche Fragen kaum, sie will vor allem die Förderung von Fernsehfilmen erhalten wissen. Ganz klar gegen den Spielplatz „Kulturelle Filmförderung“ stellen sich dagegen die Produzenten aus dem ökonomischen Mittelfeld, die sich bisher ganz gut bedient fühlen und sich kein neues Vergabegremium für die Low-Budget-Förderung wünschen. Für eine Mittelvergabe in Selbstverwaltung hat auch die Senatorin nicht viel übrig, sie sehe überhaupt „keinen Impuls für eine Selbstverwaltung“ bei den Berliner Filmemachern, was auf den schärfsten Protest der anwesenden Jungfilmer stieß. Außerdem seien die Kosten der Selbstverwaltung viel zu hoch, wie sich in Hamburg gezeigt habe.

Was also will der Senat? Er hat bei seinen neuen Richtlinienentwürfen eine ganze Menge aus den Vorschlägen des Plenums der Filmschaffenden abgekupfert: So findet sich auch hier die Förderung von Verleih und Vertrieb sowie der Abspielstätten, denn das bedeutet dezentrale Kulturarbeit. Auch bei der Low-Budget-Förderung kommt der Entwurf den Vorstellungen der Filmer ein Stück entgegen: Demnach sollen Filme aller Längen gefördert werden können, allerdings auf Darlehens-Basis und nicht als Zuschuß, wie es sich die Filmer wünschen. Das revolutionärste Element des Senatsentwurfs liegt allerdings in der beabsichtigten Änderung der Zusammensetzung des Förderungsausschusses: War dieser bislang mit Vertretern des Senats und der Banken besetzt, so soll fortan auf Vorschlag der Vereine und Verbände ein Gremium von fünf bis sieben Personen für die einzelnen Fördermodelle berufen werden: Eine Regelung analog der Mittelvergabe für die Freien Theatergruppen. Der Senat behielte demnach den Vorsitz - allerdings ohne Stimme. Diese Regelung, da kann man sicher sein, ist nicht im Kopf des Robert Eisenhauer gereift, der damit quasi entmachtet wird.

Doch trotz aller im Senatsentwurf eingebauten Liebesgaben für die Kleinfilmer, will ihnen dieser nicht schmecken: Das ganze Konzept sei falsch, so Christian Ziewer, denn die Reihenfolge Technik, Kommerz, Kunst gelte vielleicht für den Senat, aber keinesfalls für sie. Man könne nicht alles unter einen Hut bringen wollen, und am Ende sei doch wieder kein Geld mehr für die Kleinstproduktionen da. Sie begnügen sich mit einem Platz auf der Hutkrempe, solange sie da machen können, was sie wollen.

Annäherungen in der Sache ließen sich nicht feststellen, auch wenn Robert Eisenhauer betonte, er habe an diesem Tag einiges gelernt - wohl auch eine Reihe von Filmemachern erst kennengelernt. Die allerdings zeigten sich kompromißlos: Unter der Kulturellen Filmförderung in Selbstverwaltung wollten sie es nicht machen und wissen dabei die AL an ihrer Seite. Die muß diese Vorstellungen im Senat durchdrücken, wie es bislang aussieht, gegen den Koalitionspartner. Bloß wie, das weiß auch die AL noch nicht, die sich bislang auf die Koalitionsvereinbarungen verläßt, und da stehen sie drin, die Kulturelle Filmförderung und die Selbstverwaltung. Das Plenum der Berliner Filmschaffenden hat die Kulturelle Filmförderung mittlerweile zum Dogma erhoben, was aus ihrer Sicht und besonders ihrer ökonomischen Lage noch verständlich erscheint: Bislang bekamen sie nichts, jetzt dürfen sie immerhin schon mit am Tisch sitzen, und diese einmalige Chance wollen sie nicht verstreichen lassen. Und aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit der Berliner Filmförderung ist auch ihre Skepsis gegen das Friedensangebot des neuen Senats verständlich: Man will sich absichern, denn es wäre ja nicht das erste Mal, das große Ideen am kleinen Koalitions-Alltag gescheitert sind.

Unverständlich ist dagegen die Haltung der AL, die sich das Dogma zueigen macht, nur der „kulturelle“ Film kann ein guter Film sein, und keinerlei Gedanken daran verschwendet, wie denn der Rest des Kuchens - immerhin 18 Millionen Mark verteilt werden soll. Ich weiß nicht, in was für Filme AL -Politiker gehen, ich weiß nur: Wenn sie so weitermachen, sollten sie in keinen anderen Film mehr reingelassen werden.

Lutz Ehrlich