: Mit zweierlei Maß gemessen-betr.: "Österreich in der Zange", taz vom 19.9.89
betr.: „Österreich in der Zange“, taz vom 19.9.89
Die gegenwärtig regierenden PolitikerInnen tragen nach Kräften dazu bei, daß viele, vor allem junge Menschen den Glauben an die Demokratie und die Gleichheit aller vor dem Recht immer mehr verlieren. Viele Tausende friedlicher BürgerInnen wurden verfolgt und verurteilt, weil sie sich oft nur für Minuten - zum Protest gegen Chemie- und Atomwaffen - vor Kasernentore gesetzt hatten. Jeder Ansatz zur Blockade, egal wie viele beteiligt waren, wurde von der Polizei aufgelöst.
Anders, wenn Deutschlands auf Kosten der Umwelt immer reicher werdende Spediteure zum Rechtsbruch einladen. Dann kommt, wie jetzt bei der stundenlangen Blockade der Grenzübergänge in Lindau und Füssen, der Staatssekretär Zeller eigens aus dem Wirtschaftsministerium angeflogen, äußert Verständnis, ja Unterstützung und sichert den Blockierern zu, daß er sich ihre Ziele zu eigen machen und diese gegenüber der enorm unter Druck geratenen Republik Österreich vertreten werde.
Wenn es darauf ankommt, wie bei der WAA oder jetzt bei den Blockaden in Füssen und Lindau, sind Demokratie und Rechtsstaat noch immer nicht das Papier wert, auf dem ihre Grundsätze gedruckt stehen, dann macht sich die Politik zum Kasperl der Wirtschaft, die mit ihren Interessen und materiellen Möglichkeiten den Lauf der Dinge bestimmt.
Entweder stimmt, was Regierung, Parlament und Justiz seinerzeit den symbolischen Blockierern der Friedensbewegung entgegenhielten: daß nämlich jede Blockade - unabhängig von den dabei verfolgten Zielen - einen Angriff auf die Rechtsordnung darstellt, weshalb sie unterbunden und bestraft werden müsse, oder all dies war gelogen. Im ersten Fall müßten die Blockierer in Füssen oder Lindau zur Personalienfeststellung festgenommen worden sein und strafrechtlich verfolgt werden. Andernfalls fordere ich, sofort alle Sitzblockierer von ihren Strafen zu amnestieren und die bereits bezahlten Bußen zurück erstatten.
Es kann und darf nicht sein, daß Blockaden für den Frieden strafbar sind, solche gegen die Umwelt und für den Profit einzelner aber staatlich unterstützt werden.
Die österreichische Bundesregierung hat recht. Ich hoffe, daß sie im Interesse der Natur und der Menschen in den Alpen stark bleibt und so auch uns zwingt, den Alpen querenden Güterverkehr drastisch zu reduzieren und auf die umweltfreundlichere Bahn zu verlagern.
Gerald Häfner, Bonn
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