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Halle - Budapest - Bremen: Endlich da!

■ DDR-Flüchtlinge im Übergangslager: Bremer überschlagen sich vor Hilfsbereitschaft für „richtige“ Deutsche

Hammse nich, hammse nich, hammse nich nen‘ DDRler für mich? Jajaja, wir ham Verschiednes da.

In den beiden winzigen Büros im Übergangslager „Scharnhorststraße“ herrschte gestern Hochbetrieb. Einen Tag nach den herzzerreißenden Fernsehbildern aus Prag, Warschau, Hof und Hannover hielt es gestern auch zig BremerInnen nicht mehr zuhause. Und alle wollen nur das eine: Helfen. „Wir haben Geld gesammelt. Wohin können wir spenden?“ „Können Sie Möbel gebrauchen?“ „Haben Sie nicht eine DDR-Familie für uns. Wir haben noch so viel Geschirr im Keller? “

Viele haben gleich mitgebracht, was sie selbst für entbehrlich und Flüchtlingen für zuträglich halten. Wo vor ein paar Wochen noch Bundeswehrsoldaten hausten, stapelten sich gestern Röcke, Hosen, Mäntel, Decken („ganz neu, nur einmal gebraucht“), Nachttischlampen, Pappkartons mit Konserven und frischem Obst. Sogar eine alte Brotmaschine ist dabei. Für alle Spenden gilt allerdings eine Bedingung: Nur für DDR-Flüchtlinge verwenden, nicht an „Polen“ und „Russen“ vergeben.

Dabei: In den ehemaligen Bundeswehrstuben wohnen juristisch gesehen - nur Deutsche. Deutschstämmige Aussiedler aus

Polen und der Sowjetunion in den rechten Trakthälften, DDR -Flüchtlinge links. „Am Anfang haben wir versucht, ohne strikte Trennung auszukommen“, sagt Sozialarbeiterin Nikal Büyükatilla, „aber das hat zu Spannungen geführt. Ob die Kinder zu frech, die Küchen zu dreckig, die Musik zu laut war - immer waren die anderen schuld.“

Dazu kommt blanker, verständlicher Neid: Wer aus Ost -Berlin, Halle oder Leipzig mit nichts als ein paar Plastiktüten gekommen ist, kann es sich schon 14 Tage später selbst in einer ausgedienten Bundeswehrkaserne eng, aber gemütlich machen: Der Farbfernseher ist wieder da, das

Sofa ist wieder da, und Besuch kommt auch ständig. „Was die ehemaligen DDR-Bürger hier in den ersten 15 Tagen von Bremern alles geschenkt bekommen, dafür müssen Aussiedler aus Polen und der Sowjetunion jahrelang arbeiten,“ sagt Nikal Büyükatilla.

Wenigstens bei den Stellen-und Wohnungsanzeigen am schwarzen Brett neben den ehemaligen Gewehrständern bestehen die Sozialarbeiter auf „neutraler“ Ausschreibung und wissen, - daß es überhaupt nichts nützt: Fast alle Stellen - über vier Meter Breite ist das Brett voll mit Angeboten - werden an DDR-Flüchtlinge vergeben werden. Aber zumindest hausintern wird offiziell noch der Schein gewahrt, daß alle Deutschen gleich sind. Inoffiziell ist er längst brüchig: „Meene Nachbarn sin alles Bolen, und oben wohnen de Russen“, sagt ein Busfahrer, der vor 14 Tagen mit einem Besuchsvisum aus Thüringen nach Westberlin und von dort nach Bremen gekommen ist. Lange wird er die Gesellschaft von polnischen und sowjetischen Aussiedlern ohnehin nicht mehr ertragen müssen. Den neuen Mietvertrag hat er bereits in der Tasche.

An Arbeitslosigkeit in der

BRD mag ein älteres Paar aus Berlin-Treptow auch nicht glauben. Beim ersten Einkaufsbummel haben sie vor Karstadt einen jungen Bettler gesehen: „Na, der kann doch arbeiten gehen“. Über 14 Prozent Arbeitslosigkeit in Bremen können sie nur lachen: „Des haben Sie uns in der DDR auch immer gesagt. Die Wahrheit ist, bei der Arbeitslosenunterstütztung haben's viele gar nicht mehr nötig zu arbeiten. Wir haben gelernt zu unterscheiden zwischen arbeitslos und arbeitsscheu.“ Zum nächsten ersten beziehen sie in Walle ihre neue Wohnung - „viel schöner als unsere Zweizimmerkomfortwohnung in Ostberlin für 32.85 Mark“. Die neue kostet 400 kalt. Aber: „Daß die Wohnungen hier teurer sind, das war uns klar. Dafür hängt in den Fleischerläden hier die einzige Wurst nicht bloß deshalb rum, damit die Kunden nicht glauben, daß sie im Lampengschäft sind“.

Morgen müssen sie schon wieder zum Vorstellungsgespräch. Und dann? „Dann fangen wir von vorne an. In der DDR, da hatten wir nach 30 alles. Mehr ging nicht. Wir hätten auch einfach aufhören können zu leben.

K.S.

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