: Mit Blut und Plastikföten für das ungeborene Leben
■ Militante US-AbtreibungsgegnerInnen überfallen Frauenklinik in Rom / Ihr Angebot an die auf den Eingriff wartenden Frauen: Bring dein Kind zur Welt, wir verkaufen es zu einem guten Preis in die USA / Logistische Hilfe boten italienische papstnahe FundamentalistInnen / Aktionen auch für Holland und die BRD angekündigt
Mit dem Schrei „Frauen bringt Eure Kinder nicht um“ drangen sie in die Klinik ein, besprühten die Wände der Aufenthalts und Operationssäle mit Parolen, verspritzten Blut und verteilt Föten aus Plastik.
Damit können die AktivistInnen der US-amerikanischen Anti -Abtreibungsbewegung „Rescue Outreach“ (Rettung von Schande) - nach weniger erregenden Manifestationen in London und Lourdes - ihre europaweit bisher spektakulärste Aktion verbuchen. Ziel des Anschlag vor zehn Tagen war die römische Klinik San Camillo; doch erst jetzt, nachdem sich der Schock der bedrängten Frauen und des Klinikpersonals allmählich löst, kommen die besonders beunruhigenden Einzelheiten der „Rescue„-Aktivität langsam in ihrem ganzen Umfang zutage.
Schon die Auswahl der überfallenen Klinik zeugt von genauer Vorplanung: San Camillo ist das landesweit größte für Abtreibungen eingerichtete Hospital (täglich bis zu 14 Eingriffe) und ist unter den Frauen besonders beliebt; vor allem aufgrund der ruhigen und hilfsbereiten Atmospähre, für die der Chefarzt - im übrigen einer der wenigen italienischen Kriegsdienstverweigerer der „ersten Stunde“ und das Personal sorgen. Gleichzeitig hat sich das Krankenhaus bisher sämtlichen Nachstellungen von Abtreibungsgegnern zu entziehen vermocht: Selbst der bis Juni amtierende Gesundheitsminister Carlo Donbat-Cattin, der in sämtlichen Kliniken des Landes ein regelrechtes Spitzelsystem eingerichtet hat und auch den geringsten Verstoß gegen das Abtreibungsgesetz 194 aus dem Jahr 1978 mit bösen Sanktionen ahndet, ist hier nicht fündig geworden: nur bis zum dritten Monat nehmen die Ärzte den Eingriff vor, und wer vom Personal aus Gewissensgründen dabei nicht mitmachen will, wird ohne weiteres davon freigestellt - wie es das Gesetz verlangt.
So war wohl „vor allem die Tatsache, daß hier alles funktioniert“ (so eine Stellungnahme der christdemokratischen Parlamentarierinnen), der Grund, daß die Wahl „dieses ausländischen Stoßtrupps“ gerade auf San Camillo fiel. Tatsächlich bestand die Gruppe durchweg aus eingereisten Frauen und Männern - 27 AmerikanerInnen, ein Kanadier, ein Spanier, angeführt von vier seit längerem in Rom lebenden Priestern (drei aus den USA, ein Philippino. Und allesamt waren wild entschlossen, den italienischen Frauen, die im Warteraum auf den Eingriff vorbereitet wurden oder bereits im Operationssaal lagen, ihre Absicht gründlich auszutreiben. „Wir kämpfen bis zum Tod, bis endlich das Kindermorden endet“, sangen die Militanten, drückten den total verängstigten Frauen ihre Fötus-Puppen made in USA in die Hand, hielten den - selbstverständlich gleich mitgebrachten - Foto- und Fernsehreportern ihre Flugblätter entgegen und warteten dann sehnlichst auf das Eintreffen der Polizei. Denn auch das gehörte zum Plan: sich festnehmen zu lassen, um eine Art „Martyrium“ einzuleiten. Jedenfalls weigerten sich die LebensschützerInnen, ihre Namen zu nennen (alle antworteten nur mit „Baby Jane“ oder „Baby John“), ließen sich bei der ersten Aufforderung mitzukommen auf den Boden fallen und aufsehenerregend abtransportieren. Auf der Wache fielen ihnen ihre Namen sofort wieder ein. Sie wurden denn auch prompt wieder freigelassen, ohne jeglichen Ausweisungsbeschluß, und können so nun in Ruhe weitere Aktionen vorbereiten.
Was im bisher so ruhigen San Camillo-Krankenhaus besonderes Entsetzen hervorgerufen hat, war nicht nur die Militanz der Eindringlinge, sondern auch so mancher „Alternativvorschlag“ zur Abtreibung, den die Frauen und Männer von „Rescue Outreach“ den Abtreibungswilligen machten. So berichteten Sozialarbeiterinnen auf einer Protestversammlung vergangenes Wochenende von dem „zudringlichen Angebot“: „Bring dein Kind zur Welt, wir haben tolle Verbindungen und verkaufen es zu einem enormen Preis in die USA, und du bekommst einen schönen Prozentsatz davon“ - „Denen geht es gar nicht um den Kampf gegen die Abtreibung“, entfuhr es da einer Krankenschwester, die selbst aus Gewissensgründen bei keiner Unterbrechung mithilft, „die wollen offenbar einen schwunghaften Kinderhandel aufziehen.“ Sogar das militante italienische Komitee „Bewegung für das Leben“, das seinerseits schon des öfteren spektakuläre Aktionen vor Krankenhäusern unternommen hat, distanziert sich mittlerweile heftig von den ungebetenen „Lebensaposteln“ (Selbstbezeichnung durch den „Rescue„-Führer Padre Jack Murphy. With a little help
papstnaher Fundis
Nachdem die Polizei zuerst wenig Entschlossenheit gegen die Eindringlinge gezeigt hatte, nimmt sie mittlerweile nun doch die frommen Fötus-Hüter genauer unter die Lupe - besonders seit durch einen „Überläufer“ die geradezu konspirative Art bekannt wurde, mit der die Gruppe ihre Aktionen vorbereitet. Eingereist ins Land schon vor längerer Zeit, verteilt aber über viele Städte (möglicherweise um auch dort Anschlagziele auszuspähen), wurden die Aktivisten erst zwei Tage vor dem Attentat per Codewort nach Rom geholt, wohnten dort auch nicht in Hotels, sondern bei Glaubensbrüdern von der aggressiven papstnahen Fundamentalisten-Truppe „Comunione e liberazione“ (Kommunion und Befreiung). „Wenn man die Blut und Fötus-Herumwerferei sowie die Nötigung der Frauen genau betrachtet“, analysiert ein Flugblatt der Radikalen Partei, „ist man gar nicht weit von einer terroristischen Vereinigung entfernt; in jedem Falle würden die Leute von der Polizei so behandelt, wenn sie andersherum agieren würden, nämlich zugunsten der Schwangerschaftsunterbrechung“.
Daß von den militanten LebensschützerInnen noch mehr auf Italien und wahrscheinlich bald auf andere Länder - genannt wurden während der Aktion vor allem die Bundesrepublik und Holland - zukommen wird, dürfte ausgemacht sein. Denn die amerikanische Polizei hat bereits an die tausend Mitglieder der „Rescue„-Bewegung registriert. Den US-Behörden scheinen im übrigen auch die ständigen Versicherungen der „Gewaltlosigkeit“ solcher Aktionen nicht sonderlich glaubwürdig, jedenfalls haben die meisten Polizeipräsidien Rescue-Demos vor Krankenhäusern mittlerweile verboten; kein Wunder, alleine die Gründerin der Rescue-Bewegung Joan Andrews hat schon mehr als 120 Verhaftungen hinter sich. Und eben sie war es auch, die bereits vor zwei Monaten den „Kreuzzug auch nach Italien“ angekündigt hatte - im Wochenmagazin der Papst-Truppe „Comunione e liberazione“. Polizeischutz für Frauenkliniken
Vor Italiens Krankenhäusern sind mittlerweile jedenfalls Polizeiposten und Carabinieri aufgezogen, die Abtreibungsabteilungen haben „Vorwarndienste“ eingerichtet, um die Frauen vor weiteren Überfällen dieser Art zu schützen. „Wir sind wieder soweit“, entsetzt sich die Radikale Partei, die vor zwölf Jahren mit Hilfe eines Volksentscheids die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs durchgesetzt hatte, „daß wir Frauen polizeilich schützen müssen, die verbriefte elementare Rechte wahrnehmen wollen. Welch ein schrecklicher Schritt zurück in Richtung Mittelalter.“
Für die kommenden Wochen haben Frauenorganisationen zu landesweiten Protesten gegen die Einschüchterung abtreibungswilliger Frauen aufgerufen; und da sind heftige Zusammenstöße nicht auszuschließen, speziell in Rom: Dort nämlich wurde am 29. Oktober ein neuer Stadtrat gewählt. Und der Papst wie seine Mitstreiter von „Comunione e liberazione“ (deren bestechliches Verhältnis zum bisherigen Bürgermeister Giubilo im übrigen zur Auflösung des Stadtrates führte) haben diese Wahl bereits zum „Test dafür“ gemacht, „ob diese Hauptstadt des Christentums noch an christliche Werte wie Schutz des Lebens und Kampf gegen die Tötung Unschuldiger glaubt“.
Raffaella Menighini, Rom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen