Gezielte Überforderung

■ Freistil: Krieg und Fliegen - Mitteilungen aus der Wirklichkeit...

Freistil: Krieg und Fliegen - Mitteilungen aus der Wirklichkeit, Samstag, 30.9., West 3, 22.30 Uhr. Was ist geschehen, wenn ein Lautgedicht des österreichischen Lyrikers Ernst Jandl die Flugbahn einer deutschen V2 kreuzt, bevor sie in London aufschlägt? Warum tanzt Prince in seinem Batdance-Video Ringelpietz mit dem amerikanischen Stealth -Bomber, jenem Tarnkappen-Flugzeug, das dem feindlichen Radar verborgen bleibt? Wer es gesehen hat, wird es glauben müssen, soll es glauben können, schließlich sind das alles „Mitteilungen aus der Wirklichkeit“. Schon der Untertitel ist tückische Täuschung. Darin steckt mehr, als der lakonische Hinweis auf einen Ausschnitt von Welt, der uns frei Haus geliefert wird; jedenfalls mehr, als uns der Autor Thomas Schmitt glauben macht.

Freistil, das etwas andere Kulturmagazin, gibt es seit Anfang des Jahres. Zwei Sendungen sind bisher gelaufen, in denen die Sexexpertin Shire Hite neben der größten Sardine der Welt und der französische Philosoph Baudrillard neben akkupunktierten Goldfischen zu sehen waren. Pittoreskes ohne Sinn. Keine Fragen, nur Antworten. Nur Fragen, keine Antworten. Auch das ist eine Täuschung, denn wer in dem ungewohnten Kulturmagazin lediglich einen erneuten Beitrag zur flachgeistigen, sinnentleerten Medienflut vermutet, ist seinen eigenen Sehgewohnheiten aufgesessen. Die große Zerstreuung, je mehr Inhalt, desto weniger Sinn, wird hier außer Kraft gesetzt zugunsten einer neuen Formel. Je mehr Inhalt, desto mehr Sinn oder kurz: die schlichte Überforderung. Das Wort Magazin führt da eher in die Idee, weil jeder Einzelbeitrag mit dem anderen verwoben ist, und zwar so diffizil, daß sich ein Erklärungszusammenhang nur dann ergibt, wenn der Betrachter nicht in ergebener - und jahrelang anerzogener - Medienbrei-Konsumhaltung vor der Glotze sitzt, sondern zu Ende denkt, was Thomas Schmitt an Verbindung anbietet. Dann sind Prince und der unsichtbare Bomber kein Paradoxon mehr, sondern die konsequente Verknüpfung von Militärtechnologie und Entertainment als Fronttheater: „Nach SDI und Star-Wars-Filmen jetzt Stealth -Bomber und Batman-Filme.“ Die Rockmusik als Kriegsvorbereitung. Und die Äußerungen von Jürgen Peter Book über den Krieg der Software gegen die Hardware oder die Gedanken von Friedrich Kittler über die Entwicklung der Unterhaltungselektronik, die immer auf militärischen Vorläufern beruht, bilden Mosaiksteinchen in einem Puzzle, das unser Leben zur Zwischenkriegszeit erklärt.

So betrachtet, wäre der derzeitige Frieden nur eine Übergangsphase von einem in den nächsten Krieg, eine Zeit, in der der militärisch-industrielle Komplex neue Gerätschaften erprobt und das Volk im Kino auf den kommenden, schnellen Krieg vorbetreitet. Damit befinden wir uns am Ende der Parabel. Die Rakete, die am Anfang dieses Artikels ihre steile Flugbahn genommen hat, neigt sich und sucht ihr Ziel. In dem Roman Die Enden der Parabel von Thomas Pynchon kracht sie in ein Kino. Krieg und Kino fallen zusammen. Das ist der Schluß, auch der von Freistil, für diese Ausgabe zumindest.

Christof Boy