Inflation ist Polens Staatsfeind Nummer eins

Polens neue Regierung stellt ihr Programm vor / Ende der Indexierung? / Offizielle Gewerkschaften kündigen Mazowiecki Widerstand an  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Am Freitag und Samstag hat Polens neue Regierung zum ersten Mal öffentlich einige Grundrisse ihres Wirtschaftsprogramms bekannt gegeben. Wie Vicepremier Leszek Balcerowicz, zugleich Finanzminister, in seiner Rede vor dem polnischen Sejm erklärte, werde sich die Regierung vor allem die Bekämpfung der Inflation zum Ziel setzen. Dafür soll sowohl die am „runden Tisch“ vereinbarte Indexierung (Lohnentwicklung entsprechend der Preisentwicklung, d.Red.) als auch die Subventionierung im Energiebereich geopfert werden. Am runden Tisch war eine 80prozentige allgemeine Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung vereinbart worden. Von diesem Grundsatz geht die Regierung nun ab, nachdem sich herausgestellt hatte, daß sich die Lohnentwicklung in den Betrieben sehr unterschiedlich gestaltet hat. So sollen beispielsweise jene Betriebe, deren Belegschaften in der Vergangenheit bereits über der Preisentwicklung liegende Löhne erstreikt oder erstritten haben, bei der Indexierung nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus werden Gewinnanteile und Prämien im vierten Quartal dieses Jahres nicht mehr ausbezahlt. Das hat indessen die offiziellen „OPZZ„-Gewerkschaften auf den Plan gerufen. Im polnischen Fernsehen distanzierte sich ein Sprecher der OPZZ erst mal offen von der Regierung Mazowiecki - ein solcher faktischer Lohnstopp sei mit den Gewerkschaften nicht zu machen. Der Sejm hat dem Budgetprovisorium, in dem diese Maßnahme enthalten ist, inzwischen zugestimmt. Da die Regierung Mazowiecki noch auf die Rechtsgrundlagen ihrer Vorgänger zurückgreifen muß, stimmte der Sejm auch einer weiteren Erhöhung des Budgetdefizits um anderthalb Billionen Zloty (zur Zeit etwa 300 Millionen DM) auf knapp fünf Billionen zu, um einen Staatsbankrott zu vermeiden. Etwa zwei Billionen davon fließen zur Zeit in Industriesubventionen. Künftig soll damit Schluß sein, kündigte Vizepremier Balcerowicz an. Die Kohleförderung solle nicht mehr subventioniert und die Industrie demonopolisiert werden, mithilfe neuer Anti -Monopolgesetze ebenso wie durch ein neues, verschärftes Konkursgesetz.

Zugleich kündigte Balcerowicz auch eine Demonopolisierung des Zwischenhandels im Lebensmittelbereich an. Nach der Freigabe der Lebensmittelpreise hatte der monopolisierte staatliche Zwischenhandel den Löwenanteil der Preiserhöhungen abgeschöpft, ohne daß bei den Bauern dadurch produktivitätssteigernde Effekte eingetreten wären. Von seiten der Bauernvertreter mußte sich die Regierung im Sejm nun auch harte Vorwürfe anhören. So waren vor einer Woche die Treibstoffpreise drastisch angestiegen, was sich besonders bei Diesel für die Landwirte besonders drastisch auswirkt. Prompt reagierten die mit einer ebenso drastischen Milchpreissteigerung. Was die Bauern allerdings besonders auf die Palme bringt, ist die Tatsache, daß CPN, Polens einziger Treibstoffhersteller und Tankstellenbetreiber, offenbar ohne Wissen der Regierung die staatlichen Landwirtschaftsbetriebe von der Erhöhung ausgenommen hat. Wie Marek Dabrowski, Staatsseketär im Finanzministerium, inzwischen mitteilte, ist auch eine Aufspaltung von CPN in miteinander konkurrierende Firmen geplant.

Konkurrenz soll es auch unter den Banken geben, was sich auch auf die staatliche Finanzpolitik auswirken wird. Dann nämlich soll die Polnische Nationalbank einer westlichen Zentralbank in ihrer Funktion gleichgestellt werden, das heißt sich lediglich um die Geld- und Zinspolitik im Lande kümmern, aber selbst keinen Bankengeschäften gegenüber „Nichtbanken“ nachgehen. Damit soll ein Zustand beendet werden, den die Regierung Mazowiecki soeben noch selbst ausgenutzt hat: Die Nationalbank muß der derzeitigen Regierung automatisch jeden Kredit gewähren, was in der Praxis zu der unkontrollierten Betätigung der Notenpresse geführt hat. Künftige Staatsverschuldung soll über Privatkredite bzw. Obligationen finanziert werden. Unter diesen Bedingungen erklärte sich der Sejm bereit, das Budgetdefizit für dieses Jahr zu verabschieden, das durch den faktischen Staatsbankrott notwendig geworden war. Es werde das letzte Mal sein, versprach die Regierung. Nicht alle sind davon wirklich überzeugt.