: Aus für die deutsche Wunderwaffe
USA und Großbritannien steigen aus gemeinsamer Entwicklung einer flugzeuggestützten „Modularen Abstandwaffe“ (MAW) aus MBB hatte das ganz große Geschäft gewittert / In letzter Zeit platzt ein milliardenschweres Kooperationsprojekt nach dem anderen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Eines der teuersten und nach Darstellung der Hardthöhe „mittel- und langfristig wichtigsten“ Luft-Boden -Bewaffnungsvorhaben der Bundesluftwaffe ist geplatzt. Die USA und Großbritannien sind Ende September endgültig aus der gemeinsamen Entwicklung einer flugzeuggestützten „Modularen Abstandwaffe“ (MAW) ausgestiegen.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Bomben, die senkrecht fallen, soll mit den geplanten Abstandswaffen bis zu 1.500 Kilometer über den jeweiligen Standort des Trägerflugzeuges hinausgeschossen werden können. Mit MAW sollte vorrangig das Tornado-Flugzeug ausgerüstet werden, um im Rahmen der NATO -Doktrin des „Angriffs gegen die zweiten Reihen“ (FOFA) des Gegners Ziele im Hinterland etwa der UdSSR ohne Gefährdung durch die sowjetische Luftabwehr erfolgreich bekämpfen zu können.
In dem Kooperationsvorhaben mit Washington und London aufgegangen waren Bonner Planungen für eine Abstandswaffe großer Reichweite (LRSOM). Deretwegen hatte die Bundesregierung 1984 in der Westeuropäischen Union (WEU) die Aufhebung des seit Ende des Zweiten Weltkrieges geltenden Verbotes durchgesetzt, in der BRD Lenkwaffen und Raketen mit mehr als 70 Kilometern Reichweite zu produzieren.
Im Frühjahr hatte das Fernsehmagazin „Report“ zudem berichtet, daß die Bundesregierung auch die Option verfolge, eine doppelt, also mit konventionellem wie atomarem Sprengkopf ausrüstbare MAW-Variante in die Planungen für die „Modernisierung“ der NATO-Atomwaffen in Westeuropa einzubringen. Auf diese Weise hätte die - mit dem von Washington im Rahmen des Mittelstreckenvertrages erzwungenen Verzicht auf die PershingIa - „verlorengegangene“ nukleare Teilhabe Bonns wiederhergestellt werden können.
Eine weitere Verwendung für die MAW beschrieb der an dem Kooperationsvorhaben federführend beteiligte bundesdeutsche Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in einer „streng vertraulichen“ Vorlage für den Aufsichtsrat vom 23.6.1988: „MAW wird von der Bundesrepublik als Bewaffnung für Tornado und Jäger 90 benötigt.“ Damit wurde offensichtlich, was die Bundesregierung öffentlich noch immer bestreitet: der Jäger 90 soll nicht nur als Jagdflugzeug zur Abwehr gegnerischer Kampfflugzeuge über der BRD, sondern auch als Jagdbomber gegen Ziele außerhalb der BRD eingesetzt werden. MBB witterte das ganz große Geschäft. In der Vorlage für den Aufsichtsrat heißt es weiter: „Der NATO-Bedarf beträgt voraussichtlich 10.000 bis 20.000 MAW, der nationale Anteil der Bundesrepublik beträgt 2.000 bis 3.000 Geräte. Der mittlere Preis einer MAW beträgt je nach Munition zwei bis fünf Millionen Mark.“ Knapp 900 Millionen Mark - erst Rate im Haushalt 1990 - sollte die bundesdeutschen SteuerzahlerInnen der 22prozentige BRD -Anteil an dem Kooperationsprojekt kosten.
Das Projekt sei von „allerhöchster Bedeutung“ und dürfe keinesfalls den Kürzungen des US-amerikanischen Verteidigungshaushaltes zum Opfer fallen, schrieb Holger Phahls, CSU-Staatssekretär auf der Hardthöhe, noch am 11.September an seinen Amtskollegen Donald Atwood im Pentagon. Er hoffe, so Pfahls, „daß das erklärte bundesdeutsche Interesse“ an dem Kooperationsprojekt „ein hilfreiches Argument sein werde“.
Per Telex teilte Washington wenig später lapidar mit, die Vereinigten Staaten stiegen aus - wegen der Kosten und der „angespannten Haushaltslage“. London zog einige Tage später nach. Zusammen mit der NATO-Fregatte 90 und der Luftkampfrakete ASRAMM ist die MAW-Abstandswaffe allein seit Juli dieses Jahres das dritte gescheiterte Kooperationsvorhaben mit Milliardenwert.
Auf beiden Seiten des Atlantiks, so ein Pentagon -Mitarbeiter, finde zur Zeit „ein Frontalangriff“ auf die transatlantische Rüstungskooperation statt. Angesichts knapper werdender finanzieller Mittel und verbesserter konventioneller Abrüstungschancen werden die Schützengräben eines verschärften Konkurrenzkampfes ausgehoben: Westeuropa droht mit der Schaffung eines Binnenmarktes für Rüstungsgüter und die Rüstungsindustrie schafft per Fusion immer neue Giganten. In den USA hingegen gewinnt der Ruf „buy american“ wieder an Boden.
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