: Vom Genossen zum Kollegen
■ DDR-AusreiserInnen auf dem Bremer Arbeitsmarkt
Scharnhorst-Kaserne Niedersachsendamm. Im provisorischen Domizil der DDR-AusreiserInnen hängt im Flur ein großes Anschlagsbrett mit ungefähr 100 Stellenangeboten. Im August 1989 zählte das Bremer Arbeitsamt 35097 arbeitslose Männer und Frauen. Was macht ehemalige DDR-BürgerInnen für Arbeitgeber so attraktiv?
Fall 1: Die Firma W. sucht einen Tischler. Im Arbeitsamtsbezirk Bremen sind in der Abteilung Tischlerei/Modellbau zur Zeit 546 Arbeitslose gemeldet. Warum die Firma unbedingt einen DDR-Ausreiser einstellen will, bleibt ihr Geheimnis. Am Telefon verweigerte die Firmensprecherin jegliche Auskunft.
Fall 2: Die Firma N. sucht einen Drucker, ausweislich ein
Mangelberuf in Bremen. Der zuständige Personalreferent: „Ich will Ihnen doch mal ehrlich sagen: Von unseren Arbeitslosen ruhen sich doch die meisten in der sozialen Hängematte aus. Ich erzähl Ihnen da ja nichts Neues.“ Deshalb also werden Ausreiser bevorzugt? -„Auch aus humanitären Gründen, natürlich.“
Fall 3: Die Wäscherei F. sucht ungelernte Frauen. Die Geschäftsführerin: „Die meisten verheirateten Frauen bei uns haben die unattraktive Steuerklasse 5. Wenn durch Steuern und andere Abzüge die Hälfte vom Geld einkassiert wird, wollen viele nur noch auf 440-Mark Basis arbeiten.
Die meisten der angebotenen Jobs stehen auch in der Kartei des Arbeitsamtes. ma
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen