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Rotkäppchen und die Befriedung des Untergrunds

Seit Montag wetteifern die Pariser Verkehrsbetriebe und die „Guardian Angels“ um die Sicherheit der Metro  ■  Aus Chatelet A. Smoltczyk

Metro, das verdrängte Unbewußte der Kapitale. Tief unten in den Gedärmen der Stadt Paris, da wird gepißt und gepennt, geknutscht und gekifft; da bohren sich die Leute in der Nase und ziehen die Schuhe aus, Körper quetschen sich aneinander bis der Schweiß tropft, es stinkt, dampft und krakeelt. Nächster Halt - die Hölle: Gaukler, Puppenspieler und Bassisten drängeln in die Züge, um sich darzubieten, verschorfte Gestalten hängen auf den Bänken und Dichter schreien einem mäandrierende Verzweiflung in die Ohren („Lieben Sie Poesie? Zwei Francs, bitte“). Metro stinkendes, lautes Chaos, gesellschaftliche Ursuppe, das Es der Metropole.

Genug damit. Schluß. Zum Quartalsende. Die Pariser Verkehrsbetriebe (RATP) haben beschlossen, diesen sozialen Sumpf trockenzulegen. Seit Montag ist es still geworden zwischen Porte Orleans und Porte Clignancourt: Jenen akkubetriebenen und auf Einkaufskarren geschnürten Kästen, denen unglaubliche Schallwogen entströmten, wurde der Saft abgedreht. Ab sofort sind Verstärker auf dem Bahnsteig und in den Zügen verboten. Nur der omnipräsente, zeitlos tönende Metro-Sender „Tube“, dessen Bildschirme die zentralen Stationen belästigen, darf weiter lärmen.

Weil sich von einem Verbot allein kein Künstler beeindrucken läßt, haben die RATP-Beamten eine neue mobile Einsatztruppe gegründet: die GIPR, zu deutsch: „Interventions- und Schutzgruppe des Schienennetzes“. Die Schienenschützer haben mit herkömmlichen Schaffnern nur noch die Vorliebe für Abkürzungen gemein: Verlangt wird neben einem braunen Gürtel in Kamppfsportarten eine Körpergröße von 180 Zentimetern, 13 Sekunden auf 100 Metern (umgerechnet: ein Bahnsteig in 25 Sekunden), Fähigkeiten im Kugelstoß und - um alle diese Potentialitäten im Zaum zu halten: das Abitur. Die GIPRs werden mit asiatischen Kampfstäben, deutschen Schäferhunden und Sprühdosen heimischer Produktion ausgestattet und auf die Jagd nach Clochards, Sprühern und Verstärkern, aber natürlich vor allem: nach Taschendieben, Dealern, Schlägern und Vergewaltigern geschickt. Knapp dreitausend „Aggressionen“ habe es im letzten Jahr gegeben, sagt die RATP, gibt aber auch zu, daß das Gefühl der Unsicherheit stärker sei als die reale Gefahr.

Zu allem Überfluß schwebten am Montag auch noch die „Guardian Angels“ in Paris ein, um die infernalische Metro zu befrieden - jene schlagkräftigen Rotkäppchen, die in USA, Kanada und England Ghetto-Kids für U-Bahn-Patrouillen organisieren. Im August hatten sie den Tatort begutachtet und festgestellt: Paris braucht die himmlischen Heerscharen, und zwar dringend. Die RATP-Strategen sehen das gar nicht gern, können aber nicht eingreifen. Die „Guardian Angels“ würden, so erklärte die RATP, als „einfache Fahrgäste“ betrachtet - Untergrundkampf mit Bahnsteigkarte.

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