: Leipzig: „Demokratie - jetzt oder nie!“
Mehr als 15.000 demonstrierten auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig für Zulassung des Neuen Forums und mehr Demokratie in der DDR ■ Aus Leipzig Inge Holstein
Trotz größten Polizeiaufgebots und eines zuvor heißgelaufenen Propagandaapparates beteiligten sich am Montag abend 15.000 bis 20.000 Menschen an einer Demonstration in Leipzig. In Sprechchören forderte die Menge: „Neues Forum zulassen“, „Demokratie - jetzt oder nie“, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und rief nach „Gorbi, Gorbi“. Fast drohend muß das tausendfache „Wir bleiben hier!“ in den Ohren der Staatsmacht geklungen haben. Nach drei Stunden endete der Marsch durch die Innenstadt mit einigen Festnahmen.
Lange vor Beginn des traditionellen Friedensgebetes in der Nikolaikirche wurde die Kirche wegen Überfüllung geschlossen. Während der Andacht forderten Redner die Freilassung der seit dem 11. und 18. September Inhaftierten. (Bisher erhielten elf Personen Haftstrafen zwischen vier und sechs Monaten.) In der ebenfalls nach wenigen Minuten randvollen Reformierten Kirche fand parallel ein Friedensgebet statt. Unterdessen warteten Tausende auf dem Nikolaikirchplatz. Die „Internationale“ singend zog der Strom auf den Karl-Marx-Platz.
Festnahmen bestätigte die 'Leipziger Volkszeitung‘ gestern morgen. Unter der Überschrift: „Ordnung und Sicherheit gestört“, schreibt das Blatt, eine „ungesetzliche Zusammenrottung größerer Personengruppen“ habe in der City „die öffentliche Ordnung und Sicherheit gestört und den Straßenverkehr beeinträchtigt“. Die „Zusammenrottung“ sei „durch das besonnene Vorgehen der Deutschen Volkspolizei und mit Unterstützung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ aufgelöst worden. Der „Einsatz von Hilfsmitteln der Deutschen Volkspolizei war unumgänglich. Es waren Zuführungen (DDR-Amtsjargon für vorläufige Festnahmen, d. Red.) erforderlich. Die strafrechtlichen Konsequenzen werden geprüft.“ Mit ähnlichen journalistischen Glanzleistungen hatte die 'LVZ‘ in der Vorwoche den Schweigemarsch der 5.000 bis 8.000 gewürdigt.
In der Gethsemane-Kirche in Ost-Berlin begann am Montag eine Mahnwache für die etwa 30 zum Teil seit Juni in verschiedenen Städten im Gefängnis sitzenden Bürgerrechtler und Demonstranten. In täglichen Andachten wird die „Freilassung der Inhaftierten, keine Abschiebung der Betroffenen gegen ihren Willen, Einstellung der Ermittlungsverfahren, Aufhebung aller Haft- und Geldstrafen“ gefordert.
Unter anderem wird an die Verhaftung eines 26jährigen Ostberliners erinnert. Er demonstrierte wegen vermuteter Wahlfälschung und trug ein Schild mit der Aufschrift: „Zu dumm zu addieren, aber ein ganzes Land regieren“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen