: Singer zu Troeller-betr.: "Den Genozid zum Gärtner gemacht", taz vom 26.9.89
betr.: „Den Genozid zum Gärtner gemacht“, taz vom 26.9.89
(...) Ich habe immer geglaubt, daß Ihr Sprachrohr seid für die wenigen Mutigen auf dieser Welt, die - auch wenn es unbequem ist - die Dinge so darstellen wie sie sind. Wie Gordian Troeller, der auch dann Täter Täter nennt, wenn sie einmal Opfer waren und der Großteil der Welt weiterhin starr in diesem Bild verharrt.
Aber nein, Ihr laßt David Singer das Wort führen, für den noch immer jegliche Kritik an der herrschenden Politik der Israelis nichts anderes ist, als Nazipropaganda. (...) Wenn Singer sich verletzt fühlt, so ist dies bedauernswert. Es ist berechtigt jedoch nicht zu einer derart demagogischen Verkehrung der Realitäten in einem Blatt wie Eurem.
Singer spricht von Gewissen. Jedoch kennt er nur das eine: was wichtig ist und niemals seine Bedeutung verlieren darf das schlechte Gewissen den Juden gegenüber. Aber dies darf uns nicht blind macen gegen aktuelle politische Greueltaten. Auch David Singer sollte endlich sein Gewissen gegenüber den Palästinensern entdecken und die politische Verantwortung seines heutigen Wirkens erkennen. (...)
Sibylle Romann, Hamburg 36
Ich fand es erfrischend, einmal einen Filmbericht zu sehen, der nicht zumindest unausgesprochen die israelische Seite favorisiert. Radio Bremen - natürlich. Der Ton, der ansonsten in den Medien vorherrscht, ist ja zumeist so klassisch, daß man mit Isarelis ganz automatisch die stetig um ihr Leben kämpfenden Menschen und mit Arabern - speziell mit Palästinensern - simple Terroristen verbindet. Dieses Klischee steht so fest, daß ich es für unmöglich halte, auch nur einen Spielfilm zu produzieren, in dem die Seiten einmal vertauscht sind. Es würde sich ein Aufschrei der Empörung erheben. Ist der Terrorismus, der unbestreitbar auf beiden Seiten praktiziert wird, teilbar in Gut und Böse? (...)
H.Werner Marckwardt, Bremen
Ich nehme an, daß ich nicht die einzige bin, die auf diesen erschütternd unehrlichen Artikel reagiert, will drum nur ein „kleines“ Erlebnis hinzufügen:
Am 7.8.88, zum zweiten Male als Journalistin in den besetzten Gebieten, wurde ich bei dem israelischen Militärgefängnis Dhahiriya, südlich von Hebron, verhaftet. Mit mir zwei palästinensische Jungen, 15 und 13, deren Vergehen darin bestand, mir den Weg gezeigt zu haben. Ich mußte mitansehen, wie ihnen die Augen verbunden und wie sie stundenlang geschlagen, getreten, gequält wurden. Dem Älteren wurde dabei, wie sich dann herausstellte, der Fuß gebrochen. Auf meine Proteste erwiderte man lachend: „Don't worry! Die haben einen guten Arzt im Dorf!“ Diese uniformierten Männer - und Frauen - waren jung, frisch, hübsch; sie scherzten und flirteten zwischendurch untereinander. Foltern, so erkannte ich, war ihr alltägliches Handwerk.
Im Inneren des Gefängnisterrains konnte ich die Zelte sehen, in denen rund 300, meist jugendliche palästinensische Gefangene ohne jegliche Hygiene bei über 40 Grad vor sich hindämmerten.
Tragik vertaner Leid-Erfahrung: Kinder und Überlebende des größten Märtyrervolkes der Welt verwandeln sich von Opfern in Folterknechte eines faschistischen Staates. Niemand, der ehrlich ist, kann dies heute in Israel übersehen und leugnen.
Dagmar Brocksin, Frankreich
Da mag Singer dem Beispiel anderer Dummbeutel folgend, noch so viele Goebbels- und SA-Vergleiche anstellen (was im Falle Gordian Troellers auf geradezu abenteuerliche Weise aberwitzig ist), Tatsache bleibt: Seit Beginn der Intifada 1987 bis Anfang September dieses Jahres wurden von israelischen Soldaten und Siedlern zwischen 468 (nach Angaben des israelischen Generalstabschefs Dan Schomron) und (nach palästinensichen Angaben) 543 PalästinenserInnen getötet, darunter ein dreijähriges Mädchen.
Wie die päpstliche Kommission „Justitia et Pax“ in Jerusalem mitteilte, wurden im selben Zeitraum 806 Häuser in den besetzten Gebieten zerstört und dadurch rund 8.000 PalästinenserInnen obdachlos gemacht. Die Vergleichspraxis David Singers und anderer Dummbeutel geböte es, hier die Ortsnamen Lidice und Oradour zu nennen. Doch davon sehe ich ab.
Wolfgang Eisermann, Hamburg 20
Noch mehr LeserInnenbriefe zu diesem Thema am Freitag, den 6.10.89. d.LeserInnenbriefred.
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