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Ein Stück Rosa

■ Ein Gespräch mit David Hare anläßlich seines neuen Films „Strapless“

Gunter Göckenjan

Für seinen ersten Kinofilm Wetherby bekam David Hare 1985 den Goldenen Bären der Berliner Filmefestspiele. David Hare ist in England und Amerika bekannt als Theaterautor und Regisseur. Seine Stücke, wie zum Beispiel Plenty, das auch mit Meryl Streep verfilmt wurde (von Fred Schipisi) waren Westend- und Broadway-Renner. Außerdem hat Hare fürs Fernsehen gearbeitet. Nach Wetherby entstanden zwei weitere Kinofilme: Paris by Night mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle als erfolgreiche Tory-Politikerin und Strapless, der heute unter dem Titel Ein fast anonymes Verhältnis in unseren Kinos anläuft. Es geht um das Leben zweier Schwestern. Die ältere (Blair Brown) ist Krebsspezialistin und verliebt sich in einen Geschäftsmann (Bruno Ganz), der sie bald wieder verläßt. Die jüngere Schwester (Bridged Fonda) hat auch eine Affäre und wird schwanger.

taz: Die Männer wirken in Ihren drei Spielfilmen immer als Katalysatoren. Sie helfen, die Augen zu öffnen.

David Hare: Ja, aber es ist doch in den drei Fällen sehr verschieden. In Paris by Night wird von dem jungen Mann die Menschlichkeit neu entfacht. In Strapless wird ihr Leben reicher durch ihn, wie umgekehrt seins auch. Dies ist ein Film über romantische Liebe. Es gibt im Kino so wenig Wahres über romantische Liebe. Entweder ist es Zuckerwasser oder es ist schmutzig. Ich möchte zeigen, was romantische Liebe anrichtet: es krempelt dein ganzes Leben um, holt das Innere nach außen. Man hat keine Kontrolle, wenn man sich verliebt. Ich habe den Film gemacht, weil ich zeigen wollte, daß die Liebe das Wichtigste ist, was einem Menschen passieren kann. Das stimmt, solange man nicht gerade eine Hungersnot, einen Krieg oder eine andere Katastrophe erlebt. Neben der Gier ist die romantische Liebe das stärkste Gefühl. Es ist allerdings schwer, darüber zu schreiben, weil diese Dinge so stark von Klischees überlagert sind.

Was hat das alles mit Ihrem Leben zu tun? Oder ist es nur eine theoretische Idee?

Oh nein, aber die Beziehung von Schreibe und Erfahrung ist so komplex, daß niemand es aufdecken kann. Außerdem ist Erfahrung, von dem Moment an, in dem sie in Schrift oder Film umgewandelt worden ist, auch nicht mehr erkennbar. Manchmal nur benutze ich Vorkommnisse, wie ich sie erlebt habe. In Strapless gibt es diese Szene, wie ich sie bei meiner Hochzeit selbst erlebt habe: Als wir auf dem Standesamt warteten, kamen nacheinander erst der Mann, dann die Frau heraus, beide in Tränen, sie waren Häftlinge, die gerade geheiratet hatten. Das war ein glücklicher Beginn für unsere Ehe. Das meiste in meinen Filmen ist jedoch Imagination, Mutmaßung und Vermutung.

Was ich wissen wollte, war, aus welchen Quellen die Imagination gespeist wird?

Niemand weiß das. Die Person, die schreibt, bin nicht ich. Wenn die Arbeit irgendeinen Wert hat, kommt sie von so tief unten, daß sie sich rationalen Analysen entzieht. Zum Beispiel kann ich nicht erklären, warum Frauen, die alleine auf einer Bank sitzen, oder einen Gang entlanggehen, für mich so eine enorme Kraft haben. Ich kann nicht erklären, warum Charlotte Rampling inParis by Night 40 Minuten lang einen roten Mantel tragen mußte, aber ich wußte, das gibt kraftvolle Bilder.

Gibt es Figuren, die sie nach lebenden Personen entwerfen?

Nein, ich fände das sehr vulgär. Die Vorstellungskraft muß frei sein. Ein Zwang, das Geschriebene immer wieder an der Realität überprüfen zu müssen, bindet die Imagination zu sehr.

Ihre Filme sind aber trotzdem voller Realitätsbezug...

Das ist ein Grund, warum die Leute von meinen Filmen verwirrt sind. Sie verstehen nicht, wieso ich ein sogenannter politischer Schriftsteller sein kann und trotzdem kein realistischer Schreiber. Paris by Night ist ein sehr stilisierter Film, er ist sehr designed. Strapless haben wir zum größten Teil im Studio gedreht. Er hat den Look von Realität, aber gleichzeitig die Stilisierung, die ich in einem richtigen Krankenhaus nicht hätte erreichen können. Do the right Thing zum Beispiel ist ein wunderbarer Film, der die amerikanischen Kritiker total verwirrt hat, weil sie davon ausgehen, daß es nur einen angemessenen Stil gibt für die Darstellung von Rassismus: den realistischen. Es ist aber ein herrlich stilisierter Film, und er ist tiefgründiger als ein sogenannter realistischer Film je sein könnte.

Man könnte „Paris by Night“ mißverstehen als Kritik an der Karrierefrau.

Das habe ich absolut nicht gemeint. Zuerst wollte ich das politische Leben zeigen. Es ist kein Zufall, daß Leute meiner Generation nicht die Hand aufs Herz legen und damit an einen einzigen Politiker denken können, den sie bewundern. Man muß überlegen, ob es da etwas im System gibt, was dazu führt, daß die Menschlichkeit zerstört wird, sobald die Leute an die Spitze kommen. Für mich war Jimmy eine bewegende Figur, weil er versucht hat, sich die Menschlichkeit zu erhalten. Paris by Night handelt vom Abtöten der Menschlichkeit, als Voraussetzung für einen Karrierepolitiker. Und das ist hier nur zufällig eine Frau.

Man denkt natürlich in „Paris by Night“ an M.Thatcher.

Das ist eher zufällig, weil sie bekannter ist als die anderen. Für mich war es aber wichtig, daß diese Politikerin in meinem Alter ist. Der Grund? Während wir uns in den Sechzigern schlecht benahmen, saßen einige Leute in den Ecken der Räume mit finsteren mißbilligenden Blicken, die sagten: eines Tages werden wir uns revanchieren. Sie dachten, sie werden ihre Version des Lebens durchsetzen. Und genau das macht das politische Leben heute interessant. Die, die sich damals herausgehalten haben, regieren heute das Land.

Die politische Kultur wurde jedoch von Frau Thatcher verändert.

Thatcher kam in dem Glauben, daß die Dinge einfacher sein könnten, an die Macht. Mit anderen Worten sagte sie, daß all diese Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Behinderung oder sozialer Abstieg in Wirklichkeit gar keine Probleme sind. Wenn man aber komplexe Sachverhalte vereinfacht, muß man einen hohen Preis dafür bezahlen. Dieses Land hat bezahlt, der Preis ist die Entstehung einer Unterklasse ohne Hoffnung. Was mich in Paris by Night noch interessiert hat, war das psychologische Make up der Leute, die das mitbewirkt haben. Und auch sie zahlen einen Preis für ihr Denken. Sie zahlen mit ihrem eigenen Kopf. Deshalb ist Paris by Night auch ein Film über eine Frau, die vor dem Nervenzusammenbruch steht.

Charlotte Rampling ist manchmal fast schon zu sympathisch für diese Rolle.

Für Charlotte lag die Attraktivität dieser Rolle eben darin. Sie sagte, bisher war ich immer nur für Mad- und Bad -Rollen gut.

Man mag sie, obwohl sie einen unsympathischen Charakter spielt.

Diese Ambivalenz ist genau, was mich interessiert hat.

Die Männer sind in ihren Filmen wesentlich weniger komplex als die Frauen.

Normalerweise geht es im Kino um den Mann, und dann gibt es noch eine kleine Zugabe über die Frau. Das habe ich satt.

Und dann dürfen sie auch selten älter als 25 sein. Ihre Hauptdarstellerinnen sind immer ältere Frauen.

Das ist eine persönliche Geschichte. Je älter ich werde, desto interessanter finde ich ältere Frauen.

Ich hatte Blair Brown noch nicht vorher gesehen.

Blairs Unglück ist, daß sie Teil einer unglaublich begabten Schauspielerinnengeneration ist: Meryl Streep, Jessica Lange oder Sissy Spacek und die anderen. Es zieht mich hin zu dieser Gruppe. Die haben eine Reife, sie strahlen eine Sicherheit aus in bezug auf feministische Fragen. Die Schlacht ist für sie geschlagen. Sie haben gesiegt, schon vor längerer Zeit.

In den siebziger Jahren wurden sie von feministischen Gruppen angegriffen.

In dem Fernsehfilm Licking Hitler gibt es eine Szene, in der eine Frau vergewaltigt wird, später lädt diese den Vergewaltiger selbst ein. Dagegen haben die Feministinnen protestiert. Ich habe sie gefragt: Seht ihr nicht, daß solche Sachen passieren? Die haben geantwortet: Ja, sie sollten passieren, aber sie sollten nicht gezeigt werden. Die Forderung, daß die Kunst Vorbildcharakter haben soll, lehne ich jedoch ab. Wenn wir anfangen, nur noch zu zeigen, was passieren sollte, ist das der Beginn der Zensur. Ich schreibe nicht für ein politisches Programm.

Welche Bedeutung hat ihre Theaterarbeit fürs Filmen?

Die Liebe für die Schauspieler kommt wohl vom Theater. Ich bin immer schockiert, wenn ich höre, wie Regisseure die Schauspieler behandeln. Charlotte Rampling hat mir gesagt, sie habe noch nie vorher mit einem Regisseur Zeile für Zeile durchgesprochen. Die Regisseure, die nicht vom Theater kommen, lassen die Schauspieler einfach machen und filmen dann. Ich dagegen hoffe, mit dem Schauspieler zusammen eine Figur zu schaffen.

Ist die Kombination Schreiber und Regisseur für Sie von Bedeutung?

Mir scheint es völlig natürlich, daß derjenige, der es geträumt hat, auch den Traum realisiert. Er weiß, wie es aussieht. Als Schriftsteller mit einem anderen Regisseur zusammenzuarbeiten, kann fruchtbar sein. Aber der Prozeß der gegenseitigen Verständigung ist extrem aufwendig, harte Arbeit, und manchmal ist es ganz gut, den Arbeitsaufwand ein bißchen zu beschneiden.

Und wird das Resultat dann auch, wie sie es geträumt haben?

Nein. In Wetherby zum Beispiel hatte ich diese Bildvorstellung von Vanessa, wie sie durch den strömenden Regen geht und in der Ferne ein rosa Glasfenster leuchten sieht. Später stellt sich heraus, es ist ein chinesisches Restaurant. Aber zuerst ist es ein glühendes Stück Rosa, ein surreales Bild. In der Nacht, in der wir es aufnahmen, hatten wir tollen Regen, aber, was wir nicht berücksichtigt hatten: Der Dampf, mit dem wir das Fenster vernebeln wollten, hielt sich nicht in der Kälte. Mein Bild kam nicht zustande, aber es war für mich das Schlüsselbild des Films. Ich saß da und habe geheult, weil mit der ganze Zweck des Films verfehlt schien. Der Produzent sagte nur: diese Nacht hat 100.000 Dollar gekostet, wir können das nicht wiederholen. Von Spephen Frears habe ich gelernt, daß Film mit der Organisation der Prioritäten zu tun hat.

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