: Die NASA bleibt nicht auf dem Boden
■ „Galileo„-Sonde soll trotz großer Risiken mit Plutonium ins Weltall fliegen/Aus Washington Silvia Sanides
Kritiker sprechen von Irrationalität: Obwohl eine unbemannte Rakete billiger, schneller und vor allem sicherer wäre, hält die NASA an der bemannten Raumfahrt fest und will am 12.Oktober die Plutonium-betriebene Sonde „Galileo“ auf der Raumfähre „Atlantis“ Richtung Jupiter schicken. Gegner versuchen mit Sit-ins und Klagen die vom Pentagon forcierte Mission „Galileo“ zu stoppen.
Mit einem Sit-in wollen amerikanische Umweltschützer den für den 12. Oktober geplanten Start der Raumfähre „Atlantis“ verhindern - einem Sit-in auf oder in nächster Nähe der Abschußrampe auf Kap Canaveral in Florida. Solange sich auf dem Startgelände Menschen aufhalten, darf laut NASA -Bestimmungen nämlich nicht gestartet werden. „Wir haben nichts gegen die friedliche Weltraumforschung“, betont Bruce Gagnon von der „Florida Coalition for Peace and Justice“, einer Koalition von 50 Organisationen, die den Protest gegen den für den 12. Oktober geplanten Start der „Atlantis“ koordiniert.
Mit der Mission der „Atlantis“ hat es eine besondere Bewandtnis: Sie transportiert mit der Raumsonde „Galileo“ 20 Kilo Plutonium ins All. Die „Galileo“ soll auf eine acht Jahre lange Explorationsreise zum Planeten Jupiter geschickt werden. Plutonium-betriebene Atombatterien liefern der Sonde Strom und Wärme für die Geräte. Auch die bereits 1977 gestartete „Voyager“, die im August Raumfahrtliebhaber mit faszinierenden Bildern von den äußeren Planeten erfreute, ist mit Atombatterien ausgerüstet.
„Doch seit 1977 sind wir um einiges klüger geworden“, erklärt Bruce Gagnon die Position der „Galileo„-Kritiker. „Der Absturz der Raumfähre 'Challenger‘ 1986, Tschernobyl und die Ölkatastrophe in Alaska haben uns gezeigt, daß Technologie nicht absolut sicher ist. Wir sind äußerst besorgt über die möglichen Folgen eines Unfalls, in den 20 Kilo Plutonium verwickelt sind.“
NASA-Sprecher behaupten zwar, die „Galileo„-Mission sei sicher, und rechneten der Öffentlichkeit vor, daß selbst bei einer „Challenger„-ähnlichen Explosion mit großer Wahrscheinlichkeit kein Plutonium in die Umwelt entweichen kann. Doch andere Experten sind weniger optimistisch. Richard Cuddihy, der die Sicherheit der „Galileo„-Mission im Auftrag der NASA sechs Jahre lang untersuchte, empfiehlt: nicht starten!
Start in dichtbesiedeltem
Florida gefährlich
In einem Schreiben an US-Präsident Bush, der den Start Anfang Oktober genehmigte, warnt der Experte für Strahlenverseuchung: „Ein Start von Florida aus gefährdet eine große Anzahl von Menschen. Es wäre sicherer, diese Art von Missionen mit unbemannten Raketen aus wenig bevölkerten Gebieten zu starten.“ Über zwei Millionen Menschen leben innerhalb eines 80-Kilometer-Radius um Kap Canaveral. Zusätzlich lockt das Start-Spektakel bis zu 200.000 Zuschauer an.
Cuddihys Expertenrat hat den Gegnern der „Galileo„-Mission die Munition für rechtliche Schritte gegen den Start der Fähre geliefert. Am vergangenen Donnerstag beantragte die Florida Coalition zusammen mit zwei weiteren Organisationen beim Bundesbezirksgericht in Washington eine einstweilige Verfügung gegen den Start. NASA habe wesentliche Informationen über die Gefahren einer Plutoniumkontaminierung verheimlicht, heißt es in der Anklageschrift, und verstoße damit gegen das Bundesumweltgesetz. Das schreibt vor, daß Bundesbehörden ausführliche Umweltgutachten erstellen müssen, wenn sie durch ihre Aktivitäten in irgendwelcher Weise die Umwelt beeinträchtigen. Selbst laut NASA-Kalkulationen existiert eine ein- bis dreiprozentige Wahrscheinlichkeit für eine Explosion der Fähre während des Starts. Die Wahrscheinlichkeit, daß dabei Plutonium freigesetzt wird, liegt laut NASA bei acht Prozent. Und bei fast allen möglichen Unfällen, so die NASA-Rechner weiterhin, würde nur so wenig Plutonium frei, daß keine zusätzlichen Krebsfälle aufträten.
Dabei setzen die NASA-Experten ihr Vertrauen auf die angeblich unzerstörbaren Kanister, in die sie das Plutonium der Atombatterien verpackt haben. Im Auftrag der NASA wurden die Kanister heftigst bombardiert, erhitzt und anderweitig malträtiert, und sie blieben nach offiziellen Angaben dennoch heil. Bei einem Test jedoch, in dem eine Bombe in zehn Meter Entfernung von einer Plutonium-Batterie - ohne Plutonium - detonierte, zerbarst die schöne Verpackung in tausend Stücke. Ein Drittel des Kanisters war so fein pulverisiert, daß die überraschten Verpackungskünstler die Suche nach den Überresten aufgeben mußten. Ein von der Regierung eingesetzter NASA-unabhängiger Überprüfungsausschuß, dem auch Cuddihy angehört, errechnete denn auch ein zehn- bis 20fach höheres Strahlenrisiko.
Pentagon läßt grüßen
Andere Wissenschaftler sind noch pessimistischer. „Weniger als ein Pfund Plutonium kann - wenn es feinpulverisiert in der Atmosphäre über dem Startgelände frei wird - die Ostküste Floridas unbewohnbar machen“, meint Horst Pöhler, der zehn Jahre lang im Auftrag der NASA am „Kennedy Space Center“ gearbeitet hat. Und auch John Gofman, über die USA hinaus bekannter Experte für die Gefahren radioaktiver Strahlung, warnt, daß „das feinverteilte Plutonium (der „Galileo“) bis zu 950.000 Lungenkrebsopfer“ fordern könnte. Gofman: „Wird das Plutonium über Florida frei, dann kann man Florida abschreiben. Wird es über (dem Nachbarstaat) Georgia frei, kann man Georgia abschreiben.“
Daß die NASA bereit ist, große Bevölkerungsteile einem solchen Risiko auszusetzen, war laut Gagnon bis vor kurzem eines der „am besten bewahrten Geheimnisse“ der Raumfahrtgeschichte. Er und seine Mitstreiter haben mit einer breiten Aufklärungskampagne Licht in die Angelegenheit gebracht. In Florida und in anderen Teilen des Landes kam es in den letzten Wochen zu Protestkundgebungen gegen den „Galileo„-Start. In Washington machten 200 Demonstranten vor dem NASA-Hauptquartier Rabatz, und in Boston protestierte eine Gruppe von Aktionären vor den Vorstandsetagen von General Electric. Die Firma hat „Galileos“ Plutonium -Batterien hergestellt. Und mit einem 300 Kilometer langen Fußmarsch von Kap Canaveral zur Marinebasis Kingsbay machten 35 Mitglieder der Florida Coalition in der letzten Woche darauf aufmerksam, daß die „Galileo„-Mission nicht gänzlich friedlichen Zwecken dient. Das Pentagon plant, Hunderte von Atombatterien und -reaktoren im Rahmen des Starwar-Programms (SDI) in den Weltraum zu bringen. Dem „Galileo„-Start soll 1990 die Mission der ebenfalls mit Atombatterien ausgerüsteten „Ulysses“ folgen. Gagnon ist sicher: „Galileo und Ulysses dienen der NASA und der Bush-Regierung, um die Abneigung der Bevölkerung gegen atomare 'Hardware‘ im Weltraum abzubauen.“
Sollte „Galileo“ am 12. Oktober trotz Gerichtseinspruch und Sit-in starten, dann ist die Gefahr eines katastrophalen Unfalls auch nach einem erfolgreichen Abschuß noch immer nicht gebannt. Die „Galileo“ wird Jupiter nicht direkt ansteuern, weil ihr dafür das Momentum fehlt. Sie muß sich vielmehr in einer Venus- und zwei Erdumkreisungen - ähnlich wie ein Diskuswerfer - den notwendigen Schwung holen, bevor sie den erdnahen Raum verläßt. Dabei wird die Sonde im Dezember 1990 in 900 Kilometer Höhe und zwei Jahre später in nur 300 Kilometer Höhe mit 45.000 Stundenkilometer an der Erde vorüberjagen. In einer NASA-Studie aus dem Jahr 1987 heißt es dazu: „Es gibt eine entfernte Möglichkeit, daß die Sonde zurück in die Erdatmosphäre gerät“ und auf die Erde aufprallt. Gegen eine solche Katastrophe sind selbst die Verpackungskünstler der NASA nicht gewappnet.
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