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Ultimativer Unfug ohne Ende

Beim Berlin-Marathon sammeln Läufer sinnlose Blutdruckwerte, die Pharmaindustrie spendet Gesundheit, „Fools“ witzeln über den Irrsinn der Laufbewegung im Sold einer Schuhfirma  ■  Von Herrn Thömmes

Bob ist ein Schlaffi. Abends geht er am Liebsten in die Kneipe, neben Alkohol ernähren ihn vor allem Hamburger und Kaffee. Das Haar trägt er akurat zum modischen Zöpfchen gebündelt. Schon der Gedanke an körperliche Anstrengung peinigt ihn.

Doch Fred hat ihn überredet: gemeinsam trainieren sie für den Marathon in London. Fred ist vom Laufen besessen. Sein Kopf ist voll mit Aufwärmübungen, wissenschaftlich gezielter Nahrungsaufnahme, Trainingsplänen. Er kennt nur ein Ziel: die 42.195 Meter will er schaffen.

Fred überläßt dabei nichts dem Zufall, seine Ausrüstung ist perfekt. Stirnband, Muskelfluid, Schweißbänder, Vaseline, atmungsaktive Schuhe mit spezieller Fersendämpfung, Leibchen und Hose ultraleicht. Bob dagegen erscheint zum Training in Trödelklamotten.

Es kann nicht gut gehen, wenn zwei derart unterschiedliche Lebensphilosophien aufeinanderprallen, und die beiden Akteure der Theatergruppe Confederacy of Fools spielen die Auseinandersetzung der beiden temporeich und witzig. Die wenigen Zuschauer im Schauplatz, einer Kreuzberger Kleinkunstbühne, amüsieren sich bestens.

Um den Irrsinn zeitgeistiger Sport- und Gesundheitshysterie vorgeführt zu bekommen, hätten sie sich am vergangenen Wochenende das Eintrittsgeld sparen können. In den Ausstellungshallen am Berliner Funkturm begleitet eine Marathon-Messe die Vorbereitung zum größten deutschen Marathonlauf. 16.410 Teilnehmer - neuer Rekord - schreiben sich hier ein und holen die Laufnummern ab. Zwischen den Ständen der großen Sportartikelfirmen herrscht ein Gedränge wie beim Winterschlußverkauf. Das Angebot an hübsch bunter Kleidung, wo Kunstfasern mittels Kapillarwirkung den Schweiß vom Körper wegtransportieren, würde Fred entzücken.

Einige Meter weiter „ist es in Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie gelungen, unter erheblichem Kostenaufwand allen Läufern ein Angebot zu unterbreiten, welches mehr als attraktiv ist“ (Pressedienst). Hier zieht eine Arzthelferin und ihr Team aus Medizinstudenten im Akkord je 4,5 Milliliter Blut aus Läufervenen. Die Blutfettuntersuchung ist kostenlos, in drei Tagen nehmen mehr als 1.500 Sportler den vampirösen Gesundheitsdienst in Anspruch.

Daneben gibt es den „Blutdruckpaß“. Vor einem Tisch mit zwei Geräten zum Blutdruckmessen stehen die Läufer Schlange. Zwei Minuten dauert es, bis der Drucker die Ergebnisse auswirft, gemessen wird drei Tage lang, ununterbrochen jeweils zehn Stunden. Mit dem Bewußtsein ums eigene Wohl scheint es bei den Sportlern nicht weit her zu sein, denn die wenigsten hier kennen ihren Blutdruck, sagt die Frau am Meßgerät: „Die kommen, weil's umsonst ist.“ Die Werte der durchtrainierten Leiber seien erstaunlich hoch, aber das liege am erheblichen Streß, dem die Menschen im Trubel der Halle hier ausgesetzt sind. „Zehn bis zwanzig Prozent muß man schon abziehen.“ Die Wartenden kümmert das nicht, wenn's nichts kostet nehmen sie gern die sinnlosesten Blutdruckwerte mit nach Hause.

Gut genudelt

Macht das „Ruhe-EKG“ mehr Sinn, bei dem Menschen auf Liegen an Drähten hängen, gleich neben dem Schuh-Shop? Draußen im Sommergarten werden derweil die Energiespeicher mit Kohlehydraten gefüllt. Eine schwäbische Nudelfabrik hat 3.000 Kilo weichgekochte Spirelli gestiftet (Trockenmasse 7,5 Tonnen), sauber verpackt in Alufolie mit der praktischen Doppelkammer; eine Brauerei spendiert Limonade. Bob, unser Fast-Food-Freund, würde sich hier wohlfühlen.

Nur das Marathonlaufen ist für ihn, trotz aller sinnstiftenden Argumente Freds („Du fühlst, daß du lebst.“), „ultimativer Unfug: Ich weiß doch, daß ich lebe.“ Bob bricht das Training ab, der London-Marathon wird ohne ihn stattfinden. „Warum soll ich einen Umweg von 42 Kilometern machen, um an eine Theke zu kommen.“ Dem Kreuzberger Szene -Publikum spricht das aus dem Herzen, gerne läßt es sich von den zwei Fools am Ende zum kalten Buffet im Nebenraum bitten: „Das hat unser Sponsor bezahlt.“

Auf dem Plakat der Confederacy of Fools für das Stück „Marathon“ wirbt nämlich ein amerikanischer Sportartikelkonzern. Fred trägt während seines Disputs mit Bob dessen Schuhe und Kleidung. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einem Werbeplakat: Nur, wer NB-Schuhe trägt, tut den Füßen wirklich Gutes. Unter den Zuschauern ist auch ein PR-Manager der Firma, flexibel der Umgebung angepaßt, hat er auf die Krawatte verzichtet. Jetzt erklärt er, während er an einer Boulette kaut, einigen Studenten der Universität Bayreuth das kleine Einmaleins der Verkaufslehre. In einem speziellen Studienzweig werden diese zu leitenden Kräften der Freizeitindustrie ausgebildet. Wenn die Arbeitszeitverkürzung vorankommt, werden sie sinnstiftend für uns sorgen, helfen bei der optimalen Allokation von Zeit und Geld. Die Glücksbringer von morgen.

Doch das hier ist echte Praxis, das wirkliche Leben. Wenn der PR-Mann hört, was die Professoren an der Uni an die Studenten ranquatschen, kommt ihm das Kotzen, sagt er: „Die haben doch in ihrem Leben noch nicht einen einzigen Schuh verkauft.“ In den USA ist seine Firma im exklusiven Bereich, „bei den Modellen über 50 Dollar, die Nummer Eins“. Jetzt drängt sie auf den europäischen Markt. Die Methoden dürfen da auch ungewöhnlich sein. Warum also nicht einfach die Hofnarren bezahlen, die sich über sportiven Absurditäten dieser Welt lustig machen?

Pharmakonzern zahlt Gesundheitstest, Sportmulti sponsert Alternativkultur. Die Welt ist kompliziert, und das Kapital zeigt sich flexibel. Längst sitzen Trendforscher in Szenekneipen und erschnuppern die neuesten Moden, um diese dann kommerziell umzusetzen. Auf den ersten Blick etwas seltsam anmutende Verbindungen, wie sie beim Berlin-Marathon zu sehen waren, gehört wohl die Zukunft.

Der Krampf geht weiter.

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