"Notfalls wieder auf die Straße gehen"

■ Seit Monaten wird in der Krupp-Stahlhütte Rheinhausen auf Hochtouren produziert/An dem Stillegungsbeschluß will der Konzern trotzdem nicht rütteln lassen/Die Hoffnung der "Kruppianer" ist auf...

Durch die ganze Innenstadt entlang der Atroper Straße ziehen sich die bunten Kirmesbuden, über die die Stuckfassaden der fast durchweg dreigeschossigen Häuser hinwegragen. Hier ist alles am Platze, dicht beieinander - vom Rheumawäsche -Spezialgeschäft bis zum Sonnenstudio „Sun Eiland“ und der Markt-Apotheke. Familien in mehreren Generationen spazieren durch das Kirmesgetümmel, Großeltern mit ihren Enkelkindern wie auch Cliquen von jungen Leuten. Männer in den zeitlosen Popeline-Blousons für alle Tage, sportlich, aber adrett. Ebenso sorgfältig und ordentlich gekleidet wie die schon etwas betagteren Kirmesbesucher zeigt sich hier die junge Generation. Den Älteren steht es ins Gesicht gezeichnet, daß sie ihr Leben lang, tagaus tagein an den härtesten Arbeitsplätzen der Republik geschafft haben. Und auch lange noch, nachdem mit den Zechenschließungen der Niedergang des Reviers als Industriezentrum seinen bitteren Lauf für Tausende von Kumpeln mit ihren Familien nahm, setzte man hier unbeirrt auf eine sichere Zukunft. Daß die Firma Krupp einmal die Tore schließen könnte und das „ewige Licht“ über Rheinhausen erlischt, das hatte niemand glauben können. „Vertrauen wächst vor Ort“ - und das Vertrauen war tief.

Zauberworte und

Hochglanzbroschüren

Seit der Stillegungsbeschluß auf dem Tisch liegt, wird das neue „Vokabular zur Vertrauensbildung“ erprobt: Durch die Politikerreden geistern die Zauberworte „Neuansiedlungen“, „Umstrukturierung der Region“. Insbesondere während des Arbeitskampfes waren dies die Signalworte zur Weisung einer neuen Zukunft. „Was daraus bisher geworden ist? Na, ein paar kleinere Neuansiedlungen gibt es schon. Zum Beispiel Hemdenfabrikation. Da kommen dann immer mal so rund 60 Leute unter“, beschreibt Betriebsrat Stegmann den bisherigen Umstrukturierungsprozeß. „Aber was ist das schon gegen 5.000 Krupp-Arbeitsplätze?“

Genauso windig, so die Sorge im Betriebsrat, sei es bislang um die Bereitstellung der 1.500 Krupp-Arbeitsplätze in Rheinhausen bestellt, zu deren Gewährleistung bis 1991 sich die Firma in der Düsseldorfer Vereinbarung verpflichtet hatte. Da werde zwar öffentlich mit Zahlen jongliert, so hatte Krupp seine diesbezüglichen Aktivitäten gar in einer Hochglanzbroschüre niedergelegt, zur Schaffung oder langfristigen Sicherung von Arbeitsplätzen habe das bislang aber nicht geführt. „Im Bereich Krupp Industrietechnik wurden vielmehr Hunderte von Arbeitsplätzen gekippt“, so Stegmann. „Das ganze Zahlenbrimborium nützt ja nichts, solange die versprochenen Arbeitsplätze nicht faßbar sind. Das sehen doch auch die Kollegen im Betrieb, was da für ein Zauber abgeht“, weiß Rainer Schuh, seit dem Arbeitskampf Referent beim Betriebsrat, im Betrieb unter dem Kürzel „Mach ma“ bekannt. Und gerade die Älteren, so heißt es dort weiter, erinnern sich noch sehr gut daran, wie in den vergangenen Jahren mehrfach in konzertierter Aktion von Krupp-Management und kommunaler Politik in SPD-Verantwortung nennenswerte Neuansiedlungen verhindert wurden. „Krupp wollte keine Arbeitskräfte verlieren.“

Ein Hoffnungsträger aber hat sich seit dem Stillegungsbeschluß in Rheinhausen bereits angesiedelt: Die „McDonald-Food Town“. Und das werteten der nordrhein -westfälische Städtebauminister Christoph Zöpel und Duisburgs Oberbürgermeister Josef Krings, beide gestandene Sozialdemokraten, anläßlich der Eröffnung im vergangenen Jahr als ein Zeichen für eine „neue Aufbruchstimmung im Revier“. Mit Bezug auf die immensen Arbeitsplatzverluste durch Schließungen von Zechen und Stahlhütten im Pott sagte Krings: „Dies hier zu erleben, vermittelt Hoffung.“ Die Neueröffnung gerade in Rheinhausen zeige, „wie lebendig diese Stadt ist“.

240 Arbeitsplätze versprach die Errichtung der „Fast-Food -Town“ auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Mevissen am Rande Rheinhausens. Von hier werden die McDonald's -Schnellrestaurants in der Bundesrepublik und darüber hinaus pro Jahr mit „150 Millionen Portionen formgepreßten Hähnchenfleisch und 100 Millionen Brötchen“ beliefert werden, so die Firmenleitung. Und schon von weitem signalisieren die Aufschriften der riesigen Kühllastzüge auf dem neuen Firmengelände der „Food-Town“, wohin der Aufbruch geht: „McDonald's ... Mmmhh - McDonald's, das etwas andere Restaurant“, steht da zu lesen.

Was hat der Arbeitskampf

jetzt gebracht?

Jürgen Tholl, der mehr als fünfzehn Jahre in der Lagerabrechnung der Krupp-Hüttenwerke gearbeitet hat, ist einer derer, die ihren Arbeitsplatz bereits gewechselt haben. Allerdings nicht in einen ganz neuen Betrieb. Er wurde im Zuge der Krupp-internen Umstrukturierungen im Vorfeld der Stillegung in das Krupp-Werk Bochum versetzt. Dort arbeitet er nun in der Buchhaltung. „Sicher, das war erst mal eine große Umstellung für ihn, weil die Buchhaltung ja doch ein anderer Arbeitsbereich ist als die Lagerabrechnung, aber er ist dort freundlich aufgenommen worden. Ja und er hat jetzt jeden Morgen mindestens eine dreiviertel Stunde Fahrt in Kauf zu nehmen“, schildert Ehefrau Barbara Tholl die neue Situation. Aber: „Wir sind natürlich froh, daß er einen sicheren Arbeitsplatz hat.“

Früher ging Jürgen Tholl zu Fuß zur Arbeit. Die Familie wohnt in der Margarethensiedlung nahe der Krupp-Hütte. Es ist die vierte Tholl-Generation, die das kleine Haus im Kern der Arbeitersiedlung bewohnt. Jürgen Tholl ist nach wie vor Vorsitzender der „Interessengemeinschaft Margarethensiedlung e.V.“. Beide waren im Arbeitskampf aktiv, Barabara Tholl insbesondere in der Frauen-Initiative, in der sie auch heute noch mitarbeitet, ebenso wie in dem damals gegründeten „Bürgerkomitee“. Die im Arbeitskampf aktiven Initiativen sind auch heute noch aktiv. Gegründet wurde inzwischen der Verien „Leben und Arbeiten“ - „gewissermaßen der Nachkomme des Widerstands in Rheinhausen“, wie es der Rheinhausener Pfarrer Dieter Kelp formuliert. An den monatlichen Versammlungen nehmen noch immer jeweils rund 200 Rheinhausener teil. Gerade erst in dieser Woche wurde in dem ehemaligen Rheinhausener Haus der IG Metall, deren örtliche Geschäftsstelle nach Duisburg verlagert wurde, das Bürgerhaus „Die Hütte“ eingeweiht. Aus Anlaß der Eröffnung des neuen Bürgerzentrums gibt es noch bis Sonntag ein buntes Veranstaltungsprogramm - vom Frauencabaret bis zur Debatte mit Ministerpräsident Rau.

„Oft werden wir von Leuten von außerhalb gefragt: Und was hat euch der Arbeitskampf jetzt gebracht? Dann können wir ja nur antworten: Direkt auf die Straße gestellt wird keiner, Krupp mußte sich auch auf Arbeitsplatzzusicherungen zum Beispiel in Huckingen verpflichten. Das haben wir durchgesetzt“, sagt Barbara Tholl. Trotzdem komme man aber nicht daran vorbei, daß „eine gewisse Resignation“ herrsche, wenn auch die „große Angst“ gewichen sei. Manch einer hat inzwischen auf eigene Faust einen neuen Arbeitsplatz gefunden, beispielsweise bei „Bayer-Uerdingen“. „Für uns selbst“, so Barbara Tholl, „ist vor allem eins übriggeblieben: Wir haben erfahren, daß man sich auf eine Großfirma nicht verlassen kann und nicht verlassen darf.“

„Unser Zusammenhalt

besteht weiter“

Eine Straße weiter, in der Klarastraße, sind schon die zweiten neuen Mieter innerhalb des letzten Jahres eingezogen. Das kleine, picobello ausgebaute Siedlungshaus gehört noch immer der Familie Yilmaz, die hier mit ihren zwei kleinen Kindern bis zum Ende des Arbeitskampfes im vergangenen Jahr lebte. Schon bevor der Stillegungsbeschluß auf dem Tisch lag, hatte sich der 30jährige Nejat Yilmaz, der zwanzig Jahre seines Lebens in Rheinhausen gelebt hat, mit Umsiedlungsplänen getragen. Ihm, das war schon damals klar, würden auch die der Firma Krupp abgerungenen Arbeitsplatz- und Umsetzungsgarantien nach Huckingen nicht nützen. Er war als Lkw-Fahrer bei der Firma Rockelsberg, dem Entsorgungsunternehmen der Stahlhütte, beschäftigt. Heute lebt die Familie in Frankfurt, wo sich Nejat Yilmaz auf eine Busfahrer-Stelle beworben hatte. „Ja, ja, die sind schon lange weggegangen“, sagt die etwa siebzigjährige Nachbarin, die für die Kinder der Familie Yilmaz stets „unsere Oma“ gewesen war. Dennoch: „Unser Zusammenhalt hier in der Siedlung besteht auch weiter. Auch wenn einige gegangen sind. Die meisten hoffen, ihre Häuser halten zu können“, sagt Barbara Tholl, „deswegen klopfen ja jetzt auch so viele unentwegt Überstunden, um eben noch etwas herauszuholen.“

Nur einige hundert Meter Luftlinie entfernt, inmitten des Hüttengeländes, findet sich das längst verfallene Pendant zu der bis heute gehegten und gepflegten Margarethensiedlung der Kruppianer: Die „Villensiedlung Bliersheim“. Wo noch in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts die Krupp-Obersten residierten, sind bis heute noch die dem Zerfall ausgesetzten Reste der Höhen und Tiefen einer Industrieepoche aufzuspüren. Die Scheiben der einst herrschaftlichen Villen sind zerbrochen, morsch die zahlreichen Holzverzierungen der verwinkelten Giebelvillen.

Reste von alten Feldbetten und mittlerweile verrostete Stahlschränke mit Schließfächern in den seit langem nicht mehr verschlossenen Villen zeigen an, daß auf die Krupp -Direktoren andere Bewohner folgten. Aus einem Schutthaufen vor einer der Villen ragt ein abgeblättertes Schild, auf dem in türkischer Sprache „Heimleitung“ zu lesen steht. „Als es den Direktoren da auf dem Werksgelände wohl zu laut und zu schmutzig wurde“, erzählt eine junge Rheinhausenerin, die mit einer kleinen Gruppe junger Leute an diesem Sonntagnachmittag auf „Abenteuerspaziergang“ durch die zerfallene Villensiedlung geht, „hat man in den 60er Jahren die Gastarbeiter hier einquartiert.“ Spanier, Türken, Jugoslawen. Später sollte die Siedlung abgerissen werden, „aber da kam der Denkmalschutz dazwischen.“ Was jetzt geschehen soll, ist unklar. „Ich habe schon x-Mal bei der Krupp-Wohnungsverwaltung angerufen, um zu fragen, was jetzt mit den Villen passieren soll. Aber die interessiert das nicht“, sagt die junge Frau.

Die Überbleibsel einer nicht ganz so glanzvollen, aber ebenso bewegten Geschichte, wie sie in der Villensiedlung Bliersheim zu finden sind, sind auf der anderen Rheinseite in einem alten Arbeitercaree aufzuspüren. Die Siedlung aus dunklem roten Backstein liegt von freien Wiesenflächen umgeben in dem Dreieck zwischen „Mannesmann Huckingen“, der „Kupferhütte Duisburg“ und der „Krupp-Stahlhütte“. Zahlreiche Fenster sind mit weißem Backstein zugemauert, zerbrochene Scheiben zeigen den Leerstand an. Die wenigen weißen Gardinen dazwischen signalisieren, daß der Auszug noch nicht ganz beendet ist. Eine etwa 16jährige Türkin erzählt, was sich hier in den vergangenen Jahren zugetragen hat: „Früher wohnten hier die Deutschen. Die gingen, als die Türken kamen. Dann hat Mannesmann viele entlassen, die sind mit einer Abfindung zurück in die Türkei gegangen.“ In die Siedlung zogen dann die türkischen Familien, die zuvor in der inzwischen gänzlich abgerissenen Siedlung nebenan gewohnt hatten. „Wir sind die Hiergebliebenen“, sagt die junge Türkin.

Nebenan in Rheinhausen war der „Exodus der Türken“ seinerzeit als Warnung noch nicht ganz ernst genommen worden. Man setzte auf „das Werk des alten Krupp“. Und das hat man noch längst nicht aufgegeben. „Wenn es im nächsten Frühjahr um den letzten Hochofen geht, dann ist auch ein neuer Streik nicht ausgeschlossen“, heißt es im Betriebsrat, „dann werden eben nicht nur die Füße auf die Straße gestellt.“ Und mit Blick auf den Stahlboom weiß man auch: „Diesmal tut das dem Konzern weh.“