: Zwischen zwei Welten
■ Die algerische Schriftstellerin Assia Djebar sucht in ihren Romanen nach den Verbindungen zwischen der islamischen und der christlichen Kultur, nach Universalität
Zwischen zwei Welten ist Assia Djebar aufgewachsen. In der kleinen algerischen Stadt Cherchell verlebte sie eine Kindheit, die stark von der islamischen Tradition geprägt war. Da ihr Vater Volksschullehrer war, konnte sie aber die französische Schule besuchen, das Abitur machen und als erste Algerierin in der Ecole Normale Superieure in Paris studieren. In zwei Welten lebt Assia Djebar auch heute, wenn sie ihre Zeit zwischen Paris und Algier aufteilt. Das Schreiben ist auch für sie ein Suchen nach Verbindung zwischen den Welten, nach Universalität.
„Die Literatur wurde für mich immer mehr zu einer nötigen Recherche. Über mich selbst und über mein Pendeln im Spannungsfeld zwischen den Kulturen, die Illusion, seine Einheit über das Schreiben wiederzufinden“, sagt Assia Djebar.
Die Schattenkönigin, ihr letztes und bisher einziges auf deutsch erschienenes Buch (Unionsverlag 1988), ist ein Roman des weiblichen Protests, aber er ist es nicht in seiner unmittelbaren Art.
Ihren ersten Roman hat Assia Djebar schon mit 20 Jahren veröffentlicht. 1956 beschlossen algerische Studentinnen und Studenten, aus Solidarität mit dem Unabhängigkeitskampf in ihrem Land die französischen Examen zu boykottieren. Assia Djebar schloß eine Wette ab, daß sie - statt die Examen vorzubereiten - in zwei Monaten einen Roman schreiben würde. Und sie gewann die Wette. Aus Protest verließ sie die prestigereiche Ecole Normale Superieure und ging nach Tunesien zur algerischen Befreiungsbewegung FLN. Sie arbeitete dort als Journalistin für die FLN-Zeitung, später als Universitätsassistentin und schließlich als Professorin für Geschichte in Marokko und Algerien. Seit 1967 lebt sie halb in Paris, halb in Algier. „Wenn ich in Algerien die Möglichkeit hätte, wie in Paris zu leben, würde ich wahrscheinlich dort bleiben“, sagt sie, „aber obwohl sich die Situation der Frauen dort in manchem positiv verändert hat, ist Algier wieder mehr und mehr eine traditionelle arabische Stadt geworden. Ich liebe es, draußen zu sein, in den Cafes und auf den Straßen die Leute zu beobachten, und das ist dort für eine Frau sehr schwierig.“ Männerwelt - Frauenwelt
„In der arabischen Tradition gibt es zwei Welten nebeneinander, die Welt der Frauen und die Welt der Männer. Doch wenn Frauen im Haus bleiben, heißt das nicht, daß sie nicht eine wichtige Rolle spielen, daß es nicht auch in dieser Welt eine Hierarchie der starken Persönlichkeiten gibt. Die Welt der Männer ist die Welt draußen. Der Mann hat im Haus keinen Platz, er kommt nur nach Hause, um zu essen und zu schlafen. Die Kommunikation läuft über versteckte Blicke, über die Sehnsucht der einen nach den andern.“
Daß diese beiden Welten sich bedingen, zeigt auf eindrückliche Weise Assia Djebars Roman L'amour, la fantasia, der nächstes Jahr auf deutsch im Unionsverlag erscheinen wird. Einzelne Szenen spielen im algerischen Unabhängigkeitskrieg, andere in weiter zurückliegenden historischen Kriegen. Die Männer sind im Krieg, die Frauen sind zu Hause in ihrer Welt. Fantasia ist ein traditionelles arabisches Reiterspiel, das dazu dient, sich auf den Krieg vorzubereiten. Wenn die Männer kämpfen, feuern die Frauen sie als Zuschauerinnen mit Schreien an. Es gibt die Männer, die Krieg spielen, aber auch die Frauen, die ihnen zuschauen. Früher stellten sich die Frauen im Krieg hinter die Männer, und zwar, damit die Männer nicht zurückweichen konnten. Sie stießen You-You-Rufe aus, damit der Mann entweder kämpfen oder sterben muß. Keine Befreiung ohne Solidarität
L'amour, la fantasia ist Teil eines großen Planes, nämlich vier Bücher zu schreiben, die ein breites Panorama algerischer Geschichte und Gegenwart geben. Der zweite Teil der Tetralogie ist der Roman Die Schattenkönigin, am dritten und vierten Band arbeitet Assia Djebar gegenwärtig. Auch in der Schattenkönigin stehen sich zwei Realitäten gegenüber. Es sind zwei Frauen des gleichen Mannes: Isma, die emanzipierte, in Europa ausgebildete Intellektuelle, hat ihren Mann nach einer intensiven, aber schließlich einengenden Beziehung verlassen und hat für ihn und ihre Tochter eine zweite Frau ausgesucht, eine, die sich nach traditionellem Muster um Kind und Haushalt kümmert. Doch auch Hajila, die Schweigsame, Passive, versucht sich zu befreien, sie geht hinaus in die Straßen von Algier „nackt“, ohne Haik. Isma erzählt Hajilas Geschichte, und immer mehr wird ihr klar, daß ihre eigene Befreiung nicht auf Kosten von Hajila gehen kann, daß eine wirkliche Befreiung nur in der Solidarität mit ihr möglich ist. „Eine Person in einer Ausnahmesituation kann sich nicht für sich allein befreien“, sagt Assia Djebar dazu, „wenn einzelne Menschen ausbrechen, sich bewegen können, müssen sie auch die ganze Kette hinter sich herziehen, damit sich der Rest bewegt.“ Eine Grundidee des Buches war, die Rivalität zwischen den zwei Frauen eines Mannes umzukehren und einen Dialog zwischen ihnen zu finden. „Diese Art von Solidarität trotz der Rivalität erlebte ich früher, zur Zeit meiner Mutter und meiner Großmutter. Es ist also keine abstrakte Idee, auch wenn es gleichzeitig ein feministischer Gedanke ist.“
Eine Suche nach Mustern und Modellen von weiblicher Solidarität unternimmt Assia Djebar im zweiten Teil des Buches, wo sie verschiedene Kindheitserinnerungen aufarbeitet, einzelne Frauenporträts zeichnet, alte Mythen ihrer Kultur aus einem neuen Blickwinkel beleuchtet.
Da ist zum Beispiel Scheherazade, die berühmte Erzählerin aus Tausendundeiner Nacht. Scheherazade ist eine Art Militante für die Sache der Frauen, denn sie opfert sich, damit die Frauen nicht getötet werden. Und mit all ihrer Vorstellungskraft und Erzählkunst kann sie diese Aufgabe nur lösen, weil sie nicht alleine ist. Bei ihr ist ihre Schwester Dinarzade und hält Wache unter dem Bett, um die blutige Tat des Sultans zu verhindern. Sie weckt Scheherazade jeweils eine Stunde vor Tagesanbruch, damit sie neue Geschichten erfinden kann. Da der Islam dem Mann absolut untersagt, sexuelle Beziehungen mit der Schwester seiner Frau zu haben, ist das Verhältnis zwischen den Schwestern von keiner Rivalität belastet, sie sind Verbündete in einem gemeinsamen Kampf. Nicht nach westlichem Schema
Die islamische Tradition ist für Assia Djebar also nicht ein negatives Erbe, das es zurückzuweisen gälte. Es geht darum, darin die Werte und Modelle wiederzuentdecken, die auch heute zu einer befreienden Kraft werden können. Beispielsweise die Akzeptanz von Erotik und erfüllter Sexualität, die weitgehende Freiheit für Mann und Frau, Partnerschaften zu schließen und auch wieder aufzulösen, wie das in der ersten Zeit des Islam üblich war. Assia Djebar ist zur Zeit dabei, aufgrund eingehender Recherchen die Geschichten starker Frauenfiguren aus den ersten fünfzig Jahren nach dem Tod des Propheten in literarischer Form aufzuarbeiten.
Doch auch europäische Modelle sind für sie wichtig. Das Konzept der Selbstbestimmung und der individuellen Freiheit, wie es in der europäischen Aufklärung entstand, erachtet sie als einen Fortschritt. Auch bedauert sie mit leichter Ironie, daß Freud nicht Moslem war, er hätte sicher viel aufzudecken gehabt bei so vielen arabischen Mütterfiguren, die mangels eines eigenen erfüllten Frauenlebens ambivalente Beziehungen zu ihren Söhnen aufbauen und nicht fähig sind, sie loszulassen, wenn sie erwachsen geworden sind.
Doch gibt es kein westliches Schema, das man in der arabischen Kultur einfach anwenden könnte. Und auch kein anderes. „Man kann niemanden ohne seinen Willen befreien, ob das nun eine Frau oder ein Gefangener ist. Man befreit Gefangene nicht, indem man ihnen einen Schlüssel zur Tür bringt.“ Die Befreiung ist ein sehr viel tiefer gehender, persönlich zu vollziehender Prozeß. Klang der eigenen Kultur
In Assia Djebars literarischem Schaffen gibt es eine zehnjährige Unterbrechung zwischen ihrem 30. und 40.Lebensjahr. Sie stellte sich damals die Frage, ob sie als algerische Schriftstellerin nicht auf Arabisch schreiben sollte. Doch beherrscht sie Arabisch nur in der alltäglichen Umgangssprache, da ihre ganze Ausbildung auf Französisch erfolgte. Die Sprache der Mutter ist mündlich. Das Forschen nach dem Klang der Muttersprache fand schließlich nicht in schriftlicher Form statt, sondern in zwei Filmen Nouba de femmes du Mont Chenoua und La Zerda et les Chants de l'oubli, die sie in ihrer Heimatregion mit Frauen aus der Gegend und Schauspielerinnen drehte. „Als ich sah, wie ich die Klangmaterie meiner Kultur zurückerobern konnte, habe ich wieder angefangen, auf Französisch zu schreiben, ohne Komplexe. Wenn man eine fremde Sprache hat in bezug auf seine Herkunft, erlaubt das vielleicht, anders zu schreiben, mit größerer Stilisierung und Reinheit der Form.“
Elisa Fuchs
Gekürzter Beitrag aus „Literaturnachrichten“ Nummer 22/89. Von Assia Djebar ist bisher in deutsch erschienen: „Die Schattenkönigin“ (Unionsverlag 1988)
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