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„Patienten behandeln, nicht den Krebs“

■ Bremer Krebskongreß tagte / Schwerpunkte: Umwelt, Rauchen, Ernährung und Alternativmedizin / Ärzte stellen keine politischen Forderungen

Mit populären Themen hatte der Bremer Krebskongreß aufgemacht: Krebs und Umwelt, Rauchen, Ernährung, Alternativmedizin. Aber einfache Antworten darauf, was zu essen, wie zu leben, womit zu behandeln und was zu lassen sei, gab es nicht. Einzige Ausnahme: Das Rauchen. Wenn auch jede Raucherin garantiert einen Nichtraucher zu kennen behauptet, der prompt an Lungenkrebs erkrankte: Lungenkrebs kommt doch vom Rauchen. Prof. Ferdinand Schmidt, engagierter Niemalsraucher, faßte eine Studie zusammen: 37.000 Menschen mit den rund 35 Faktoren, die einzeln oder kombiniert am Lungenkrebs beteiligt sind, wurden so in einer Statistik verteilt, daß sich immer Paare mit denselben Merkmalen fanden - unterschieden nur durchs Rauchen/Nichtsrauchen. Mehr als 90 Prozent der Lungenkrebs-Kranken kamen aus der Raucher-Gruppe, obwohl doch alle anderen Risiko-Faktoren auch vertreten waren. Und: Je mehr Zigaretten täglich, desto häufiger Krebs. Von Zungen-, Lippen-, Gaumen-und auch Blasenkrebs durchs Rauchen ganz zu schweigen. Vermutlich hatten viele der ÄrztInnen im Publikum ihre Zigarettenschachteln in den Sackos und Handtaschen. Denn Rauchen ist eine Sucht, der mit Einsicht nicht beizukommen ist. „Jedes Jahr stirbt eine mittlere deutsche Großstadt an Lungenkrebs, 27.000 Menschen, da werfe ich der Bundesregierung verantwortungslose Untätigkeit vor!“ wetterte Prof. F. Schmidt. Nicht eine Forschungsmark werde ausgegeben, um den dramatischen An

stieg jugendlicher und weiblicher RaucherInnen zu stoppen.

Passivrauchen

Nichtrauchende Frauen, die mit Rauchern zusammenleben, erkranken und sterben rund doppelt so häufig an Lungenkrebs wie Nichtraucherinnen, die daheim nicht passivrauchen müssen. Für den Arbeitsplatz machte Schmidt daher mehr Mut auch zu Gerichtsprozessen: „Rauchen hat mit dem Arbeitsprozeß nichts zu tun, sondern ist eine private Gewohnheit wie das Trompeteblasen, und das Recht auf nikotinfreien Arbeitsplatz ist längst anerkannt!“ Der „Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit“ übernimmt Prozeßkosten und verschickt Infomaterial. (s.u.)

So entschieden wollten sich die offiziellen Kongreß -Vertreter aber nicht in politische Angelegenheiten mischen. Der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Prof. Nagel: „Wir sind Wissenschaftler. Wir stellen keine politischen Forderungen.“

Schon beim Thema Krebs und Ernährung kamen die Tips nicht über das hinaus, was ohnehin als gesund bekannt ist: Wer wenig Krebserregendes essen will, sollte wenig Fett, Alkohol, Gegrilltes, Gepökeltes, Konserviertes und Gesalzenes, aber viel Gemüse, Obst, Schlacken und Fasern zu sich nehmen. Ob und wie mit bestimmten Vitaminen oder anderem Krankheitsverläufe zu beeinflussen sind, ist noch nicht emirisch bewiesen. Immerhin, das legen internationale Studien nahe, entstehen 1/3 bestimmter Krebse durch Ernährungsweisen: JapanerInnen haben viel mehr

Magen-Darm-Krebs als etwa EuropäerInnen.

Alternativmedizin

Mit der sogenannten „Alternativmedizin“ taten sich viele schwer, obwohl völlig unbestritten blieb, daß die klassischen Krebs-Behandlungsmethoden - Schneiden, Strahlen, Chemotherapie - schmerzhaft, giftig und zum Teil noch erfolglos sind. Vermutlich ist es schon ein gewaltiger Schritt, wenn ein Schulmediziner-Kongreß das Thema überhaupt aufgreift. „Wo die Schulmedizin nicht weiterkommt, wo noch kein rettendes Medikament gefunden ist, da ist das Feld der Alternativen Behandlungsformen“, beschrieb Prof. Ernst -Heinrich Schmidt, Leiter der Gynäkologie im Diako -Krankenhaus und Vorsitzender der Bremer Krebsgesellschaft, die „Alternativen“ schlicht als Rest. Sein Präsidentenkollege Nagel sah das differenzierter: „Der Patient will mehr als Kampf dem Krebs. Er will Hoffnung und Lebensqualität. Und das ist das große Defizit der Schulmedizin.“ Mit der Fixierung aufs Rationale, Getestete, Statistische lasse der Schulmediziner die PatientIn gerade da allein, wo die Diagnose „Krebs“ die Vernunft überrollt durch Angst, Hoffnung, Emotionales, wo Gespräch, Hilfe, Trost fehle. Die Vorbehalte der Kranken zu verstehen sei die wichtigeste Bedingung für ein Vertrauensverhältnis: „Wir verwenden schließlich giftige Substanzen als Medizin, Strahlen als Therapeutika und gentechnisch hergeststellte Medikamente!“

Sein Kollege Klein hatte kurz

zuvor dargestellt, daß Naturheilmittel, gemessen an den schulmedizinischen Standards mit Doppelblindversuchen, nicht nachweislich „wirken“. Daß sie doch wirken, könne auch am Placebo-Effekt liegen, der bei rund 30 Prozent eintrete. Aber: „Würde der Papst Weihwasser gegen normales Wasser testen lassen?“ Natürlich waren alle einig gegen Scharlatan -Präparate für -zigtausend Mark. Aber reicht es nicht, wenn Mistelsaft wirkt, weil er die Befindlichkeit und Widerstandkraft erhöhen soll? Rund 70 Prozent

der KrebspatientInnen benutzen nebenbei, oft heimlich, naturheilkundliche Mittel. „Warum sind wir schockiert, wenn sich Patienten einen zweiten Begleiter suchen, nachdem wir sie doch nicht heilen können? Wir müssen loslassen können, ohne Eifersucht und Verlustgefühle“, konfrontierte ein Arzt im Saale die KollegInnen mit erleuchtetem Vokabular. Die zeigten sich vom Thema beiendruckt und ließen sich immerhin sagen: „Den Patienten behandeln, nicht den Krebs“.

Die Amerikanerinnen,

scheints, sind weiter als wir. Der ehemalige Münsteraner Gynäkologe Beller, inzwischen nach Iowa berufen, berichtete, daß seine neuen Patientinnen rund dreimal mehr Sprechzeit pro Besuch einfordern und seine vorgeschlagenen Therapien selbstbewußt zu 1/3 rundweg ablehnen.

Susanne Paas

Adresse für Infos und Prozeßkostenhilfe: Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit, Am Hinterberg 3, 6916 Wilhelmsfeld (frankierten Rückumschlag beilegen)

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