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SICH DEN KOPF VERDERBEN

■ Thomas Bernhards erstes Stück „Ein Fest für Boris“ in der Freien Volksbühne

Eigentlich dürfen Frauen so nicht reden. Eigentlich dürfen Männer so nicht schreiben. Eigentlich dürfen Leute so nicht lachen. Heimlich und verstohlen lachen über Krüppel, Beinamputierte, Hirnmanipulierte. Ja, und gleichzeitig sich erregen - nein, nein das geht zu weit, Lachen am Amputationsstumpf der anderen. Und vielleicht sich schämen, aber nicht wirklich. Woraus auch?!

In Thomas Bernhards erstem Theaterstück Ein Fest für Boris aus dem Jahr 1967 monologisiert noch nicht der ewige Minetti-Mann, sondern es sprichtundsprichtundspricht fremd -vertraulich eine Frau: die Gute, die gut ist, weil sie gibt - und zwar „jedem das Seine“. Die gibt, gutes Geld und Worte, die ihr aus dem Mund quellen, die einem aus dem Hals hängen - wie der Brei ihrem Krüppel-Gatten.

Die Gute ist böse. Sie quält ihr gesundes Hausmädchen, ihren kanken Mann und sich selbst. Die Herrin ist, wie sie ist, nämlich selbstverständlich exaltiert. Das Mädchen ist „unschuldig und natürlich“ und taumelt deshalb von einer künstlichen Pose zur nächsten. Die Frau kann sich nicht beherrschen, andere dafür um so besser. Sie kleidet sich als Königin. Und die Königinnenkleider changieren in den Farben, spitze Repitilienkämme auf Schultern und Armen - Chamäleon, Drachin, Tatzelwurm. Die Würmin thront - scheinlebendig inmitten ihres riesigen runden Mausoleums auf einem Altar aus Kissen (früher nannte man solche Bahren „Lustwiese“). Doch die böse-gute Königin der Würmer kniet, denn sie hat keine Unterschenkel. Genau wie die Krüppel, die Freunde ihres aus dem Asyl freigekauften Idiotenmannes Boris, die sie tanzen ließe. Könnten sie nur. „Verletzt“, das Wort hat viele Bedeutungen und unabsehbare Konsequenzen: „Eine Person ist eine Person, die in eine andere Person verhaßt ist“.

Die Schauspielerin Christa Berndl macht all das, klar und genau bis auf den Grund der Widersprüche. Wo nicht die Dichotomien wieder miteinander verschmelzen, sondern wo die Kategorien sich selbst schneiden, so spitz sind sie geworden. Später fragte Thomas Bernhard immer wieder, ob seine Stücke und mit ihnen die ganze Welt eine Komödie oder eine Tragödie seien. Keine Fragen der Sichtweise oder der eigenen Lage. Diese taugten höchstens für die Antworten. Fragen kann aber einzig der Mutwille. Dürfen Deutsche antisemitische Witze machen? Nein. Dürfen Christen alle Juden über einen Kamm scheren? Nein. Aber in Bernhards Heldenplatz machen Juden antisemitische Witze und verallgemeinern hemmungslos, wenn sie über Deutsche und Österreicher reden. Dürfen die das? So sind wir nicht, riefen die Österreicher. Und sie hatten recht. Unverschämtheit, brüllten die, die sich in dieser Sekunde für nichts zu schämen brauchten. Und sie hatten recht.

Vom Fest für Boris fühlt sich niemand persönlich angegriffen, Krüppel gibt es im Theater ja höchstens auf der Bühne. Aber ob man lachen darf über die grotesken Klagen der Rumpf-Männer, daß ihre Betten zu kurz sind, ob man die wüste Geburtstagsorgie der Rollstuhlfahrer für ordnungs- und etikettegemäß zynischundmenschenverachtend halten soll, ob man das alles einfach als eine mehr oder minder „gelungene Parabel auf unsere untergehende Gesellschaft“ aufs Bildungskonto abbuchen kann oder vielleicht doch sehr viel ernster nehmen sollte, nämlich nicht als Metapher auf irgendwas, sondern als das, was es ist. Entscheidungen, Entscheidungen - das ist gemein. Denn die Moral folgt nicht der formalen Logik, und bei Bernhards Rollen- und Kategorientransaktionen kommt heraus, daß böse ist, wer gut sein will, daß der Misanthrop die Menschen liebt, daß zynisch ist, wer ein Krüppelstück für eine Tragödie hält, daß ungerecht ist, wer nicht über das Unglück von anderen lacht. Oder wie? „Er hat die beste Methode. Aber es gibt natürlich keine Beste Methode.“

Das alles kann man - dank dieser Konstellation - im Theater der Freien Volksbühne sehen: Ulrich Heising hat es inszeniert, Franz Koppendorfer hat das Bühnenbild gemacht und Marlies von Soden die Kostüme. Christa Berndl spielt die Gute, Emanuela von Frankenberg ihr Mädchen Johanna. Die Krüppel heißen Boris, Karlernst, Ludwigkarlernst, Ernstaugust, Ernstludwigvictor, Karlaugust, Ernstludwig und Ludwigvictor. Oder wie? Ihre Darsteller heißen Robert Hunger -Bühler, Marcus Bluhm, Wolfram Bölzle, Markus Dietz, Heino Ferch, Max Gertsch, Paul Wenning und Stefan Wieland.

Gabriele Riedle

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