: Berliner Rennverein: Dunnemals elitär
■ Rennverein wurde 80 / Der frühere Galopperverein hat schon lange keine Rennbahn mehr und ist heute ein Mittelschicht-Reitklub
„Wenn von den Rennbahnen, gleichwie von Frauen, diejenige die beste wäre, von der man am wenigsten spricht, so hätte die Neuschöpfung des Berliner Rennvereins wenig Chancen.“ Der interessanten These eines unbekannten Schreibers des Berliner Lokalanzeigers vom 23. Mai 1909 - womit diese durch ihn widerlegt ist - trotzdem folgend, müßte zumindest die damals neueröffnete Pferderennbahn im Grunewald heute zum Besten zählen; doch wie das im richtigen Leben nicht nur bei dieser Rennbahn so ist: Es gibt sie schon lange nicht mehr und deswegen eigentlich auch keinen Grund, darüber zu reden.
Nur, deren Erbauer und Betreiber gibt es noch, nämlich den Berliner Rennverein, der es in diesem Jahr auf den stolzen Geburtstag von 80 Jahren gebracht hat. Älter werden wohl nur Fußballvereine und Philosophen. Aber was ist nun so interessant an einem Verein, der gerade mal aus fast 100 Personen besteht und wohl zu keiner Zeit seiner Existenz mehr Mitglieder hatte? Wohl eben das und die sich daraus ergebenden Gegensätze zwischen damals und heute.
In jenem Mai 1909 trafen sich neben allerlei Volk, das unbedingt dabei sein wollte - das 'Berliner Tageblatt‘ schätzte diese Möchtegerne und die wirklich zukurzgekommenen auf „mehr als ein halbes Hunderttausend“ - auch jene Hundert, die nicht nur zum Feinsten, sondern auch das meiste Geld in Berlin zählten; eben mal 8 Millionen Mark hatten die Herren Gründer des Vereines, Kraft zu Hohenlohe, Schmidt -Pauli, von Oertzen und das übrige Gesocks an Prinzen, Fürsten, „vons“, Offizieren und Kommerzienräten lockergemacht, um feiner, schöner, nobler, eben weltstädtischer zu sein als die traditionellen Treffpunkte des noblen Pferdesports im beneideten England.
Von diesem Protz und Pomp ist nun nach 80 Jahren nichts mehr übrig. Nur die Pferde sehen noch gleich aus. Die Idee jetzt ist „eine Pferdehaltung und ein Reitbetrieb (...), der völlig auf Eigenarbeit, (...) nicht auf Geld aufbaut.“
Anders gesagt, tummeln sich in den Stallungen an der Eichkampstraße Jugendliche und Erwachsene aus den unteren Einkommensgruppen, die sich Kosten, Pflege und das Reiten der Pferde teilen.
Die jetzigen Beiträge sind billig. In den nobleren Berliner Reitvereinen müssen diejenigen, die das höchste Glück der Erde verspüren wollen, für dieses Recht zwei- bis viermal so viel berappen. Mit Recht befürchtet nun der Rennverein, daß man ihnen das der BRD gehörende Grundstück neben der Avus „abzujagen versuchen wird, um eine weitere Anlage als renditeträchtige Kapitalanlage und Quartier für wenige Begüterte dort zu errichten“.
Der Klageschrei der Unterdrückten beruht wohl auf schlechter Erfahrung. Diese Erfahrung war das Verschwinden der Rennbahn im Jahr 1933, was noch heute in naiv -schmerzlicher Weise bedauert wird. „Die Bahn mußte verschwinden - wie so vieles andere in den folgenden Jahren“, wie es in einer historischen Zusammenstellung des Vereins heißt, ist gelinde gesagt wohl etwas daneben.
Geschehen war dabei folgendes: Innerhalb der Bahn war der Bau eines Sportstadions geplant, wofür aber weder Staat noch Land Berlin Geld herausrückten. „Was für die Zucht des Menschen nicht zu haben war, für die Zucht des Pferdes lagen die Millionen da“, deckte das 'Berliner Tageblatt‘ schonungslos seltsame Vorlieben der Berliner Aristokratie auf, bevor diese 1913 meinte, auch die Zucht des Menschen vorantreiben zu müssen und für 2,5 Millionen Mark das alte Olympiastadion bauen ließ.
Aus dieser mitten im Wald gelegenen Anlage für elitäre Pferderennen und Populäres wie Fußball, Radrennen und Leichtathletik sollte das riesige Propagandabecken für Volkshysterie werden, deren gruselige Atmosphäre bis heute den Dummen im Lande wohlige Schauer über den Rücken strömen läßt. Verloren ging dem Rennverein damit sein Tummelplatz für kostspieligen Zeitvertreib, nicht aber die investierten Gelder: Daß die Finanzierung kein Verlust wurde, dafür hatte schon die Inflation gesorgt.
Bis in die 70er Jahre dauerte es, als der Verein endlich aufhörte, dieser Vergangenheit nachzutrauern. Um so angenehmer, daß während der Jubiläumsfeier nur proletarische und bürgerliche Freizeitkleidung sichtbar war, statt der zur Gründung präsentierten „reich geschmückten Frauen (...) und bunten Uniformen“, es roch nach Punsch und Bratwurst, statt Kronprinz kam der stellvertretende Bürgermeister.
Schon seltsam, daß ein Verein für ärmere Leute kaum jemanden interessiert, während adelige Selbstdarstellung und allgemeine Eitelkeit wohl zum ersten Verkehrschaos Berlins geführt haben; die damalige Berichterstattung zur Eröffnung: „Langsam schob sich der Troß vorwärts (...), sämtliche Autos der Stadt Berlin schienen sich hier verabredet zu haben. Die Zufahrtsstraßen waren mit einer Teermischung überzogen“, die „ein unfernalisches Aroma“ hatte, „das zusammen mit den Benzinwolken ein Parfum ergab, wie es die Großmutter Beelzebubs an hohen Festtagen auf ihr Taschentuch gießt.“
Schmiernik
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