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Keine Kohle für Holger Klemme?

■ Brisanz unter Aktenzeichen 1U3455/87 / Ein „Spielerberater“ klagt vor dem Bundesgerichtshof

Berlin (taz) - Karlsruhe wird am Mittwoch zur Bühne einer wohl wesentlichen Entscheidung in Sachen Fußball. Aber kein Schiedsrichter wird im Wildparkstadion zum Anpfiff blasen. Den Anstoß besorgt Richter Rottmüller und mit ihm der vierte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) im Saal 411. Auf dem Terminzettel für 11 Uhr steht schlicht „Klemme gegen Bavaria GmbH“. Der Spielerberater Holger Klemme, neben den Kölnern Rüdiger Schmitz und Wolfgang Fahrian einer der größten Haie im trüben Wasser von Transfers und Provisionen, klagt aus alter Zeit auf Zahlung von viel Geld. Die Geschichte begann 1980, als ein hoffnungsvoller, noch namenloser Rudi Völler an Offenbachs Bieberer Berg stürmte und für 600.000 Mark zu 1860 München wechselte. Völlers „Berater“, wie er sich aus gutem Grund beruflich tituliert, hieß Holger Klemme.

Da die „Löwen“ kein Geld in der Kasse hatten, wurde die Summe von der „Bavaria Holding GmbH“ gegen Abtretung aller zukünftigen Rechte an den Waden des heutigen Italostürmers überwiesen. Zwei Jahre später erzielte die feine Gesellschaft mit dem Weiterverkauf von Völler für 1,15 Millionen zu Werder Bremen einen fetten Gewinn. Kläger Klemme will von der Bavaria damals beauftragt worden sein, zum Provisionsanteil von 11 Prozent den Spieler Völler meistbietend unterzubringen. Das macht dann 123.000 Mark plus Mehrwertsteuer plus Zinsen seit dem 1. August 1982. So lange wartet der 37jährige Psychologe aus Bad Godesberg, der sich zu Studentenzeiten mit Politikwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre einen breiten Boden für seine Profession zimmerte, auf die verdienen Provisionen.

In zwei Urteilen des Landgerichts München und zuletzt in der Berufung vor dem dortigen Oberlandesgericht (Az.: 1U3455/87) unterlag der klagefreudige Klemme fast hoffnungslos glatt. So nahm sich die Berufungsinstanz seiner Sache nur für zwanzig Minuten an und verzichtete auf Zeugen, weil die Rechtslage eindeutig erschien. Die einfache Gleichung nach den Buchstaben des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) soll nämlich lauten: Spielervermittlung ist Arbeitsvermittlung. Die Vermittlung von Arbeit aber ist Monopol der Nürnberger Bundesanstalt. Daher bedeutet jede andere Form von Spielervermittlung eine verbotene Arbeitsvermittlung. Wer wie Holger Klemme aber gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, kann sich nicht auf einen wirksamen Vertrag berufen. Das Rechtsverhältnis zwischen ihm und der Bavaria sei darum sittenwidrig und deshalb null und nichtig. Ergo: Keine Kohle für Klemme.

Moral und Macht

Sitte und Moral auf dem Hintergrund von Macht und Marktkenntnissen der oligopolen Kaste der Spielervermittler haben eine lange Geschichte im offiziell bezahlten Fußball. Bei Gründung der Bundesliga 1963 liefen die Wechselspiele bereits durch die Finger einer Handvoll Makler. Sie waren der Sportgerichtsbarkeit des DFB entzogen, und ihre Berufsausübung war strafrechtlich nicht zu beanstanden. Im Gegenteil, die Finanzgerichte beförderten ihre Klientel der Lizenzfußballer in die Sparte der frei vermittelbaren Künstler und Artisten. Das wurmte die Fußballzentrale in Frankfurt deshalb mächtig, weil zur selben Zeit, Sommer 63, die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) den Amateurboxer Claus Tesch als Beitrittswerber für die „Fachgruppe Fußball“ in die Vereine schickte. Nach der ersten Tour von Boxer Tesch war gleich ein Drittel der Lizenzkicker gewerkschaftlich organisiert. Sogar Schalkes Trainer Gawliczek wurde Mitglied.

Die Bedrohung durch legale Praktiken der Spielervermittler hier und gewerkschaftliche Organisation dort konterte der DFB durch Schulterschluß mit der DAG. Stoßrichtung waren die ungeliebten Makler, als 1966 die „Paritätisch besetzte Fußballspieler-Vermittlungsstelle“ in Frankfurt eingerichtet wurde. Und dort sitzt sie noch heute, mit einem Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit, einem Herrn der DAG und Werder -Präsident Dr. Franz Böhmert. So richtig weiß sich niemand aus diesem Gremium zu erinnern, wann und ob denn überhaupt einmal durch diese Agentur Arbeit vermittelt worden ist. Allerdings hatte die Frankfurter Parität zur Folge, daß Fußballer nicht länger wie Künstler oder Artisten behandelt werden konnten. Die rechtlich freie Bahn der Spielermanager war ab sofort und bis heute verstellt. Sie dürfen nicht vermitteln, aber sie tun es. Niemand, weder Spieler noch Vereine wollen auf das Herrschaftswissen der wenigen Insider verzichten. So gibt es kaum ein vergleichbares Beispiel, in dem Rechtslage und Rechtswirklichkeit derart auseinanderklafften.

Klemme konnte sich bereits über einen ersten Erfolg freuen. In rasant schneller Zeit nahmen die Karlsruher Bundesrichter seine Revision an. Eine Überraschung deswegen, weil die Oberrichter damit andeuten, der bisher so eindeutigen Rechtslage nicht unbedingt folgen zu wollen. Vielleicht brauchen Klemme und Kollegen bald nicht mehr mit der latenten Angst vor dem Staatsanwalt leben. Anders als die nur im Inland vollzogenen Vermittlungen, die das AFG als Ordnungswidrigkeiten einstuft, können nämlich Arbeitsbeschaffungen mit Auslandsberührung mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedacht werden.

Die Klemme-Anwälte wollen am Mittwoch in Karlsruhe vor allem einen Punkt diskutiert wissen: Wenn die Verhandlungen über Transfersummen in bezug auf einen beteiligten Spielervermittler sittenwidrig und daher nichtig sind, dann muß diese Rechtsauffassung gegenüber allen anderen am Transfergeschäft Beteiligten ebenfalls gelten. Und das sind zuallererst die Banken, die in großem Stil nichts anderes machen als weiland die jetzt beklagte Bavaria: Sie finanzieren den Klubs neue Spieler gegen Vorausabtretung der späteren Ablösesummen.

Ernst Thoman

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