DDR beantragt Ausreise

Nach dem 2:1 gegen die UdSSR träumen die DDR-Fußballer von Italien und der Weltmeisterschaft  ■  PRESS-SCHLAG

Eine ungewohnt vielfältige Palette an möglichen Freizeitgestaltungen bot sich den Bürgern der DDR an diesem Wochenende. Sie konnten an einer der Festlichkeiten zum 40. Jahrestag teilnehmen, sie konnten sich bei diversen Demonstrationen von ihrer volkseigenen Arbeiter- und Bauernpolizei vermöbeln lassen, sie konnten einen kleinen Trip nach Ungarn unternehmen oder, sofern sie in Karl-Marx -Stadt wohnten, ins Fußball-Stadion gehen und sich das Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel gegen die Sowjetunion anschauen. Rund 16.000 entschieden sich für die letzte Variante, etwas mager für die Bedeutung des Gegners und des Spiels. Schließlich benötigte das DDR-Team unbedingt einen Sieg, um sich eine Chance zu bewahren, 1990 doch noch zur WM nach Italien ausreisen zu dürfen. Aber jene Fußballfreunde, die am Sonntag im Karl-Marx-Städter Stadion vermißt wurden, kommen ja vielleicht am 15. November in Wien zum letzten Gruppenspiel gegen Österreich.

Die Sowjetunion benötigte nur einen Punkt zur endgültigen Qualifikation, und das war von Anfang an deutlich zu sehen. Die Spieler des Vize-Europameisters, einige mittlerweile hochbezahlte Profis in Italien, Spanien und Frankreich, taten nur das Allernötigste und beschränkten sich vorwiegend darauf, ihren armen Brüdern im sozialistischen Geiste den Weg zum Tor zu versperren und dann und wann ihre Knochen zu malträtieren. Würde im Fußball das Rückgabenverhältnis entscheiden, wäre die Partie für die Mannen des grummeligen Trainers Lobanowski schon nach zehn Minuten gelaufen gewesen.

In der ersten Halbzeit passierte buchstäblich nichts, nach der Pause begann die DDR jedoch plötzlich, mehr Druck auszuüben und recht ansehnliche Angriffe aufzubauen. Im Mittelfeld waren der Dresdner Sammer und der local hero Rico Steinmann ungewohnt einfallsreich, nur im Sturm haperte es ein wenig. Andreas Thom wirkte seltsam desinteressiert und Ulf Kirsten war gegen den kantigen Erzrüpel Kusnetzow zu umständlich. Ganz anders die sowjetische Spitze Oleg Protassow. Wenn sich der Ball einmal aus Versehen in die DDR-Hälfte und zu seinen Füßen verirrte, sah sein Gegenspieler Lindner meist nur noch das Hinterteil des Torjägers aus Kiew. So auch in der 75. Minute. Protassow lief Lindner davon spielte schlau zurück zur Strafraumgrenze und Litowtschenko donnerte das Leder mit einem extravaganten Scherenschlag volley ins Netz, direkt über den Kopf des reaktionslosen Torhüters hinweg.

Das endgültige Aus für die WM-Träume der DDR, dachte ein jeder, doch da nahte Rettung in Gestalt von Tschanow, dem äußerst schwachen sowjetischen Torwart. Einen Eckball faustete er in Richtung des eigenen Tores, wo Kirsten inmitten dreier UdSSR-Spieler stand, die alle einen Kopf größer waren. Einen stieß er weg, einen anderen hielt er fest, der dritte sprang im falschen Moment und schon hüpfte der Ball von Kirstens Kopf zur Torlinie, wo ihm Thom den Rest gab.

Vollends strahlen konnte Auswahltrainer Eduard Geyer dann in der 84. Minute. Thom ließ einen Querschläger von der Brust zurückprallen, genau auf den Fuß von Sammer, der den Ball flach ins rechte Eck jagte. 2:1 hieß es auch am Schluß, und wenn Österreich in der Türkei verliert, würde der DDR in Wien eventuell sogar ein Unentschieden zur WM-Fahrkarte reichen. Bis dahin will Eduard Geyer noch „spielkulturelle“ Verbesserungen vornehmen, und vor allem hofft er darauf, daß die Österreicher „noch mehr Angst haben als wir“.

Das Publikum in Karl-Marx-Stadt dürfte wohl letzendlich mit seiner Art der Freizeitgestaltung zufrieden gewesen sein, wenngleich es mit Sicherheit erhebliche Probleme bei der Anfeuerung gegeben hat. Das althergebrachte „Wir wollen weiter“ aus den Europapokalspielen paßte ja in diesem Fall nicht recht, aber „Wir wollen nach Italien“? Das hätte Anlaß zu Mißverständnissen geben können.

Matti

Tabelle Gruppe 3: 1. UdSSR 9:5 Punkte/9:4 Tore, 2. Österreich 7:5/6:6, 3. DDR 7:7/9:10, 4. Island 6:10/6:11, 5. Türkei 5:7/9:8

Restprogramm: 25.10 Türkei - Österreich, 8.11. UdSSR Türkei, 15.11. Österreich - DDR.