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Neue Platzbesetzung in Gorleben?

Wendland-Aktionstage gegen Bau der Konditionierungsanlage und die Europäisierung der Atomwirtschaft / Grundstein für ein neues Hüttendorf ist gelegt / Mühsame Europäisierung der Anti-AKW-Bewegung  ■  Von Hannes Koch

Hannover (taz) - Die erste Hütte für eine zukünftige Bauplatzbesetzung an der Zufahrtsstraße zum Gelände der geplanten Pilotkonditionierungsanlage (PKA) im Wendland steht schon.

Rund 300 Demonstranten, darunter mehrere Busbesatzungen aus der Oberpfalz, ließen sich am Wochenende auch von einem massiven Polizeiaufgebot nicht an den Bauarbeiten hindern. Direkt gegenüber dem Zwischenlager von Gorleben wurde der Grundstein für ein neues Hüttendorf gelegt. Neben dem Holzhaus brachte drohend, aber selbstironisch, das Atomplenum Hannover eine zwei Meter hohe Steinschleuder in Stellung, die stark an mittelalterliches Belagerungsgerät erinnert.

Im Rahmen der von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg vorbereiteten Aktionstage diskutierten am Samstag abend 400 Atomgegner mit Aktivisten aus Frankreich, Großbritannien und den bundesdeutschen Atommüll-Standorten über die Europäisierung der Atompolitik. Während des „Gedelitz -Treffens“ am Sonntag rief die Gorleben-BI dazu auf, vor Beginn der Bauarbeiten an der Konditionierungsanlage den Bauplatz zu besetzen.

Für Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, ist der geplante Bau der Pilotkonditionierungsanlage nichts anderes als der Versuch der Atomindustrie, ihr altes Konzept des „nuklearen Entsorgungszentrums“ in Gorleben in neuem Gewand durchzusetzen. Für die europäische Arbeitsteilung Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien, Lagern des Atommülls in der Bundesrepublik - brauche die bundesdeutsche Atomindustrie dringend eine Anlage zur Behandlung abgebrannter Brennelemente und anderen Atomschrotts als Vorstufe der späteren Lagerung.

In der Pilotkonditionierungsanlage sollen nicht mehr wiederaufarbeitbare Brennelemente zerkleinert und verpackt werden. Außerdem sind die Reparatur defekter Abfallcontainer und das Umladen und Behandeln sonstigen Atommülls vorgesehen.

Die beantragte Kapazität von 35 Tonnen Schwermetall pro Jahr ist, so Wolfgang Ehmke, nur der erste Schritt zur großtechnischen Konditionierung von Atommüll. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hält den Baubeginn neben dem Gorlebener Zwischenlager noch in diesem Jahr für durchaus möglich.

Beim sonntäglichen Gedelitz-Treffen bestand dann eine weitgehende Einigkeit darüber, daß das orientierungslose Umherfahren von Atommüll neben der ungeklärten Entsorgungssituation der geeignete Punkt sei, das Dilemma der Atomindustrie öffentlichkeitswirksam aufzugreifen.

In nächster Zeit stehen zwei weitere heikle Atomtransporte an: der über Hamburg zu erwartende Import von Atommüll aus den Vereinigten Staaten für die testweise Einlagerung im Bergwerk „Asse“ bei Salzgitter und darüber hinaus die Verschiebung von 500 der immer noch im Gorlebener Zwischenlager gammelnden Blähfässer. Diese Fässer, eine Erblast aus dem Transnuklear-Skandal, sollen zur „Gesellschaft für Nuklear-Service“ nach Duisburg gekarrt werden. Gegen beide Transporte sind Protestaktionen vorgesehen.

Schwieriger gestaltete sich der Versuch, die Forderung nach der „Europäisierung des Widerstandes“ mit Ideen zu füllen. Zwar war den meisten klar, daß ein „nationales Widerstandskonzept antiquiert“ und der Informations- und Erfahrungsaustausch mit französischen und britischen Atomgegnern notwendig ist, doch hinken die europäischen Anti -AKW-Strukturen den Anforderungen noch weit hinterher. Die Europäisierung des Protestes ist bisher noch eine Kopfgeburt, gemeinsame Kampagnen oder Aktionen wurden (noch) nicht beschlossen.

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