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Wahlheimat Holland

■ Ein Christdemokrat forcierte in Holland die Einführung des Ausländerwahlrechts / Seit 1986 dürfen AusländerInnen an den Gemeinderatswahlen teilnehmen / Kaum Auswirkung auf parlamentarische Repräsentation / Ausländer wählen sozialdemokratisch

Während in Berlin das Ausländerwahlrecht noch heiß diskutiert wird, wird es in anderen Ländern bereits praktiziert. Unsere beiden Artikel über Schweden und Holland sollen helfen, über den Tellerrand hinauszuschauen.

„Zusammen leben-zusammen wählen“ - so lautete 1986 das Motto der Kampagne, mit der die holländische Regierung AusländerInnen ihre neuen Rechte nahe brachte. Wer damals länger als fünf Jahre legal in Holland lebte, erhielt automatisch die Wahlkarte, denn Fremdenpolizei und Wahlbüro arbeiten zusammen. Im März 1986 durften zum ersten Mal Ausländer ihre Stimmzettel abgeben - allerdings nur für die Gemeinderatswahlen, die in Holland landesweit am gleichen Tag durchgeführt werden.

Das Ausländerwahlrecht hat in Holland eine, wenn auch lange unterbrochene, Tradition. (Vielleicht kommt es daher, daß die Holländer lange Zeit Kolonien besaßen und dadurch für die Bedürfnisse der Ausländer sensibler sind - d.S.) Den Anstoß für die (Wieder-)Einführung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene gab ein Christdemokrat, der ehemalige Präsident des Europäischen Gerichtshofes Donner. Er gehörte Mitte der 70er Jahre einer Staatskommission an, die die niederländische Verfassung überarbeiten sollte. Als in diesem Rahmen das Wahlrecht für im Ausland lebende Niederländer diskutiert wurde, reagierte er mit einem überraschenden Vorstoß: größeren Anspruch auf das Wahlrecht als jeder Niederländer im Ausland habe nach seiner Auffassung jeder Ausländer, der schon längere Zeit in den Niederlanden wohne. Im Februar 1983 trat die neue Verfassung in Kraft und damit die Voraussetzung für ein Ausländerwahlrecht. Zwei Jahre später verabschiedete das Parlament ein entsprechendes Wahlgesetz. Wählen darf jede/r AusländerIn, die/der seit fünf Jahren in Holland lebt und gültige Aufenthaltspapiere besitzt.

Die Wahlen 1986 waren kaum beendet, als das Rotterdamer „Komitee zur Erforschung gesellschaftlicher Gegensätze“ (COMT) der Universität Leiden Wahlverhalten und -beteiligung von Ausländern zu erforschen begann. Die beiden Mitarbeiter, Frank Buis und Jan Rath, stellten fest, daß die Mitglieder der größten Nationalitätengruppe, die Türken, zu 61 Prozent von ihrem neuen Wahlrecht Gebrauch machten, die zweitgrößte Gruppe, die Marokkaner, jedoch nur zu 16 Prozent. „Wir denken, das liegt am Aufruf des marokkanischen König Hassan, nicht an den Wahlen im Ausland teilzunehmen“, vermutet Rath. Man könne „nicht hinter zwei Fahnen hergehen“, hatte das marokkanische Staatsoberhaupt kurz vor den Gemeinderatswahlen seinen Landsleuten vorgehalten.

Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei AusländerInnen bei 32 Prozent, was nach Auffassung der Rotterdamer Forscher jedoch nicht auf ein Desinteresse an niederländischer Politik zurückzuführen sei. „Vergleicht man die Wahlbeteiligung der gesamten Gruppe der Ausländer, unter denen die Arbeitslosigkeit groß ist, mit der Wahlbeteiligung arbeitsloser Niederländer, so liegt sie gleich niedrig“, meint Jan Rath. „Ausländer haben offensichtlich genauso gute Gründe, nicht wählen zu gehen wie Niederländer.“

Aus den Ergebnissen der Rotterdamer Studie ging deutlich hervor, daß die meisten AusländeInnen sozialdemokratisch gewählt hatten. In Rotterdam gaben Übersiedler und Flüchtlinge aus der früheren Kolonie Surinam zu 91 Prozent der PvdA ihre Stimme, Türken zu 81 Prozent und Marokkaner zu 75 Prozent. Trotz türkischer Direktkandidaten erhielten die Liberalen nur wenige und die Konservativen fast keine ausländischen Stimmen. Auch die kleinen linken Parteien, die bei den Gemeinderatswahlen im kommenden März auf einer gemeinsamen Liste „Grün-Links“ kandidieren werden, konnten kaum ausländische Stimmen verbuchen. Mit eigenen Listen sind AusländerInnen nur auf der untersten lokalen Ebene, den „staddeelraden“ (Stadtteilräten) vertreten - zum Beispiel im „Progressiven Emigranten-Block“.

So selbstverständlich das kommunale Ausländerwahlrecht in Holland heute ist, es hat weder inhaltlich noch personell die Politik beeinflußt. An den Programmen der etablierten Parteien hat sich wenig geändert, die Repräsentation ausländischer MitbürgerInnen in wichtigen politischen Gremien bleibt weiterhin Wunschdenken.

Corinna Gekeler

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